J. D. und A. gegen das Vereinigte Königreich 2020

Schutzbedürftige Opfer häuslicher Gewalt erreichen Befreiung von „Schlafzimmer-Steuer“

Die ständige Sorge darüber, ob wir gezwungen würden, unser Zuhause zu verlassen ..., war wirklich schrecklich ... Ich bin so erleichtert, zu wissen, dass mein Kampf hoffentlich fast vorbei ist.

A., zitiert auf BBC

Hintergrund

Eine Frau, bei der ein erhebliches Risiko für häusliche Gewalt bestand, musste mit einer Zwangsräumung ihrer speziell adaptierten Wohnung rechnen, weil sie sich wegen Kürzungen der Wohnbeihilfe die Miete nicht mehr leisten konnte.

A.s Haus wurde im Rahmen einer „Schutzraumregelung“, die zum Schutz von Missbrauchsopfern beitragen soll, gesichert. Das Haus wurde mit einem sicheren Raum ausgestattet, in dem sich A. und ihr Sohn verstecken konnten, wenn sie von ihrem gefährlichen Ex-Partner angegriffen wurden.

Im Jahr 2012 änderte die Regierung die Höhe der Wohnbeihilfe, die Menschen mit niedrigem Einkommen gewährt wird, indem die Zahlungen für jene Personen verringert wurden, die mehr Schlafzimmer haben, als sie unbedingt benötigen. Kritiker der Politik bezeichneten dies als „Schlafzimmer-Steuer“.

A.s Beihilfen wurden gekürzt, weil sie ein Gästezimmer hatte. Sie war vorübergehend in der Lage, ihre Miete zu zahlen, indem sie spezielle Hilfe beantragte, jedoch im Jahr 2015 kurzzeitig von Zwangsräumung bedroht, nachdem ihre Gemeinde ihren Antrag irrtümlich ablehnte.

A. war der Ansicht, dass sie ungerecht behandelt wurde. Sie ging gerichtlich gegen die Regierung vor und ihr Fall landete schließlich vor dem Obersten Gerichtshof des Vereinigten Königreichs.

Der Fall wurde mit anderen Fällen zusammengeführt, die von Personen eingebracht wurden, die wegen der „Schlafzimmer-Steuer“ vor ähnlichen Schwierigkeiten standen – darunter J. D., eine Mutter, die in einem Haus lebte, das speziell für ihre schwerbehinderte Tochter konzipiert war.

Der Oberste Gerichtshof des Vereinigten Königreichs wies ihre Klagen ab.

Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte

Der Europäische Gerichtshof urteilte, dass das Vereinigte Königreich A. aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt hatte, da sie Opfer häuslicher Gewalt war – was überwiegend Frauen betrifft.

Nach Auffassung des Gerichtshofs hatte die Regierung des Vereinigten Königreichs nicht überzeugend dargelegt, warum die Aufforderung an Personen mit „zusätzlichen“ Schlafzimmern, in eine kleinere Wohnung umzuziehen – was das Ziel der Änderungen bei der Wohnbeihilfe ist –, schwerer wiegen sollte als der Zweck der Schutzraumregelung, der darin besteht, Opfer häuslicher Gewalt dabei zu unterstützen, sicher in ihrem Zuhause zu bleiben, anstatt durch Drohungen verdrängt zu werden.

Die Personen wie A. zur Verfügung stehende spezielle Hilfe habe nicht als Ausgleich für diese Situation ausgereicht.

Allerdings war der Gerichtshof nicht der Ansicht, dass J. D. wegen der Behinderung ihrer Tochter benachteiligt wurde. In J. D.s Fall seien spezielle finanzielle Hilfen verfügbar gewesen und sie hätte in eine kleinere, angemessenere Wohnung umziehen können.

Folgemaßnahmen

Infolge des Urteils des Europäischen Gerichtshofs änderte das Vereinigte Königreich im Oktober 2021 das Gesetz, um Opfer schwerer häuslicher Gewalt, die unter die Schutzraumregelung fallen, eindeutig von Kürzungen der Wohnbeihilfen auszunehmen.

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