Rotaru gegen Rumänien | 2000

Strenge Regeln zur Archivierung und Verwendung von Akten der Securitate aus kommunistischer Zeit

[Das Urteil des Gerichts] wird für die Entwicklung unseres Justizsystems von Bedeutung sein.

Menschenrechtsaktivist Gabriel Andreescu, zitiert auf RFE/RL (auf Rumänisch)

Hintergrund 

Die rumänische Regierung gab falsche und schädliche Daten über einen Mann preis, der versuchte, vor Gericht zu beweisen, dass er im Kommunismus politisch verfolgt worden war.

Im Jahr 1993 erkannte ein rumänisches Gericht an, dass Aurel Rotaru als junger Mann wegen seiner politischen Aktivitäten im Gefängnis saß. Es sprach ihm gemäß einem neuen Gesetz, das es Opfern der politischen Repression der kommunistischen Zeit ermöglicht, Gerechtigkeit zu erfahren, Entschädigung zu.

Allerdings hatte die Rechtsvertretung der Regierung im Rahmen ihrer Verteidigung ein Schreiben des rumänischen Geheimdienstes (RIS) vorgelegt, laut dem Rotaru früher Mitglied einer faschistischen Studierendengruppe war.

Rotaru erklärte, dass die Behauptung Unsinn sei. Im Bemühen, die Akte berichtigen oder vernichten zu lassen, und um Entschädigung für den ihm zugefügten Schaden zu erhalten, beschritt er den Rechtsweg.

Die rumänischen Gerichte entschieden zunächst, dass dem RIS nicht die Schuld dafür gegeben werden könne, dass er bloß die alten Akten aus kommunistischer Zeit übernommen habe.

Doch nachdem sich Rotaru an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wandte, führte die rumänische Regierung weitere Kontrollen beim RIS durch. Es stellte sich heraus, dass dieser einen Fehler begangen hatte. Die Daten waren falsch.

Im Jahr 1997 hob ein rumänisches Gericht die vorigen Entscheidungen in Bezug auf Rotarus Klage gegen den RIS auf, sprach ihm jedoch keine Entschädigung zu.

Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte

Der Europäische Gerichtshof urteilte, dass Rumänien gegen Rotarus Recht auf Privatsphäre verstoßen hat.

Nach Auffassung des Gerichtshofs fehlten im rumänischen Recht angemessene Schutzmaßnahmen gegen Missbrauch bei der Speicherung und Verwendung personenbezogener Daten, darunter die Art und Weise, in der die Sicherheitsdienste mit den Akten aus kommunistischer Zeit umgehen. Es sei zudem für Rotaru nicht möglich gewesen, die Speicherung seiner Daten oder ihre Richtigkeit anzufechten.

Darüber hinaus habe Rumänien gegen Rotarus Recht auf ein faires Verfahren verstoßen, weil die rumänischen Gerichte im Jahr 1997 seine Entschädigungsforderung nicht prüften.

Der Europäische Gerichtshof sprach Rotaru eine beträchtliche Geldsumme als Entschädigung zu.

Folgemaßnahmen 

Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs berichtigten die rumänischen Behörden Rotarus Akte, damit derselbe Fehler nicht erneut begangen werden kann.

Rumänien führte auch Schutzmaßnahmen in Bezug auf die Archivierung und Verwendung von Geheimdienstakten aus kommunistischer Zeit ein.

Bevor der Europäische Gerichtshof sein Urteil im Fall Rotaru erließ, hatte die rumänische Regierung im Jahr 1999 ein Gesetz eingebracht, das Bürgerinnen und Bürgern Zugang zu den Akten gewährt, die von der Securitate, der 1948 gegründeten Geheimpolizei der kommunistischen Zeit, über sie geführt wurden.

Durch das Gesetz wurde die Aufsicht über die Archive vom RIS auf ein ziviles Organ übertragen, den Nationalen Rat für das Studium der Securitate-Archive (CNSAS).

Allerdings kritisierte das Ministerkomitee des Europarates – auf der Grundlage des Urteils des Europäischen Gerichtshofs – das Gesetz, weil es nicht die personenbezogenen Daten umfasste, die von Rumäniens Sicherheitsdiensten vor 1948 erhoben wurden (wie es bei Rotaru der Fall war). Überdies wurden Teile des Gesetzes später für rechtswidrig befunden.

Im Jahr 2008 ersetzte die rumänische Regierung das Gesetz durch ein neues, das diesmal die entsprechenden, vor 1948 erhobenen Daten umfasste. Durch das neue Gesetz wurde der Zugang zu diesen Akten streng geregelt.

Rumänien brachte auch einige Gesetze zum Schutz personenbezogener Daten ein, die es Personen ermöglichen, jeglichen Datenverantwortlichen, darunter ein öffentliches Organ wie den CNSAS, aufzufordern, über sie geführte Daten zu ändern, wenn sie fehlerhaft sind.

Nachdem in einer Reihe von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs Probleme bei dem Verfahren festgestellt wurden, das Personen den Zugang zu ihren Akten ermöglicht, darunter übermäßige Verzögerungen, nahmen die rumänischen Behörden einige weitere technische Verbesserungen in Bezug auf die Aktenverwaltung vor.

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