Bladet Tromsø und Stensaas gegen Norwegen  | 1999

Sieg einer Zeitung in einem Fall zur Meinungsfreiheit führt zu Reformen

Ein Faktor von besonderem Gewicht für die Feststellungen des Gerichtshofs im vorliegenden Fall ist die unverzichtbare Funktion, die die Presse in einer demokratischen Gesellschaft erfüllt.

Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, Mai 1999

Hintergrund

1988 veröffentlichte die Lokalzeitung Bladet Tromsø Artikel über einen Bericht, der von einem staatlichen Robbenjagdinspektor verfasst worden war. Der Bericht mutmaßte, einige Jäger hätten gegen die Vorschriften zur Robbenjagd verstoßen, indem sie vier geschützte Robben getötet und weitere Robben bei lebendigem Leib das Fell abgezogen hätten.

Die Crew eines Schiffs verklagte die Eigentümer der Zeitung und deren Redakteure wegen Verleumdung. Die norwegischen Gerichte entschieden, die Zeitung habe sich zu sehr auf den Bericht der Regierung verlassen und es habe keine zusätzlichen Beweise für alle Anschuldigungen gegeben.

Das Gericht entschied aus diesem Grund, die Zeitung habe die Jäger verleumdet. Ungeachtet der Kenntnis des Gerichts, dass die Zeitung finanziell unter Druck stand, ordnete es die Zahlung eines Schadensersatzes in Höhe von 187.000 norwegischen Kronen und die Kostenübernahme von 136.342 Kronen an.

Urteil des EGMR

Der Straßburger Gerichtshof erklärte, die Entscheidung habe das Recht der Zeitung auf Meinungsfreiheit verletzt.

Die Zeitung habe auch eine Reihe von Artikeln aus der Perspektive der Robbenjäger veröffentlicht, und allgemein sei ihre Berichterstattung zu diesem Thema ausgewogen gewesen.

Die zwei Artikel über das mutmaßliche Fehlverhalten sei Teil des Beitrags der Zeitung zu einer breiten Debatte eines legitimen öffentlichen Belangs gewesen. Die fraglichen Artikel hätten sich auf einen Bericht der Regierung gestützt, dessen Richtigkeit von den Behörden öffentlich nicht in Frage gestellt wurde. Die Zeitung habe das Recht gehabt, die Inhalte des Regierungsberichts als vertrauenswürdig zu betrachten: ansonsten könnte die Fähigkeit der Presse, als Hüterin von Belangen von öffentlichem Interesse unterminiert werden.

Die Zeitung für die Veröffentlichung der Artikel über einen solchen Bericht haftbar zu machen, sei ein unverhältnismäßiger Eingriff in deren Recht auf Meinungsfreiheit.

Nachbereitung

Der Eigentümer und Redakteur der Zeitung erhielten eine Entschädigung, um ihnen den Schadensersatz wegen Verleumdung und die Prozesskosten zu ersetzen, die sie zahlen mussten.

Nach diesem Fall und weiteren Fällen wurde das norwegische Recht überarbeitet, um der Meinungsfreiheit einen größeren Schutz zu geben.

In einem Urteil aus dem Jahr 2000 passte das norwegische Verfassungsgericht seine Rechtsprechung an, um die Grundsätze zur Meinungsfreiheit des Straßburger Gerichts bei Verleumdungsklagen anzuwenden.

2004 wurde auch die norwegische Verfassung geändert, um den verfassungsrechtlichen Schutz der Meinungsfreiheit im norwegischen Recht zu stärken.

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