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Deutschland – Öffentliche Diskussion über Genomchirurgie (2019)

Hintergrund, Initiator und Teilnehmende

Mit dem Projekt Genomchirurgie im gesellschaftlichen Diskurs sollte eine öffentliche Diskussion über die ethischen, juristischen und gesellschaftlichen Aspekte von neuen Verfahren in der Gentechnik in Gang gesetzt werden. Es handelte sich um ein gemeinsames Projekt von Wissenschaft im Dialog (WiD) und der Nationalen Akademie der Wissenschaft Leopoldina. Finanziert wurde es über die ELSA-Förderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, die sich mit den ethischen, rechtlichen und sozialen Aspekten in den Lebenswissenschaften beschäftigt.


Die Fragestellung

Die konventionelle Gentechnik wird zwar seit Jahren kontrovers diskutiert, doch gerade revolutionieren neue Verfahren zur Genomchirurgie (wovon das CRISPR-Cas9-Verfahren das bekannteste ist) den Bereich. Beim Projekt standen die Anwendungen der Genomchirurgie im medizinischen Bereich im Fokus. Zum Zielpublikum gehörten interessierte Bürgerinnen und Bürger, Schülerinnen und Schüler, Lehrpersonen, Studierende und Auszubildende sowie Stakeholder aus Politik, Wissenschaft und Medien. Diese Gruppen nahmen an verschiedenen interaktiven Veranstaltungen teil, bei denen sie über die Möglichkeiten und Risiken im Zusammenhang mit diesen neuen Verfahren informiert wurden. Ziel war es, die Teilnehmenden anzuregen, sich ihre eigene Meinung zu bilden. Zwischen Herbst 2017 und Frühling 2019 fanden sechzehn Veranstaltungen zu Themen wie Krebsbehandlung mittels somatischer Gentherapie, Einsatz des «Gene-Drive» im Kampf gegen den Malaria-Erreger oder Chancen und Risiken der Genomchirurgie statt.


Vorgehen

Für Schülerinnen und Schüler sowie interessierte Bürgerinnen und Bürger organisierte Wissenschaft im Dialog 13 öffentliche Veranstaltungen in ganz Deutschland. Einige dieser Veranstaltungen wurden durch externe Schüler und Wissenschaftler aus sozialwissenschaftlicher Perspektive beleuchtet.

Im Rahmen des Projekts wurde für die Schülerinnen und Schüler ein Planspiel entwickelt. Thema war die Gene-Drive-Technologie, mit der man möglicherweise die Gene der Anopheles-Mücken verändern und Malaria eindämmen könnte. Nach Probeläufen an vier verschiedenen Schulen wurde das Spiel als Toolkit angeboten. Das Toolkit enthielt Präsentationen, ein eigens für das Format produziertes Video, Rollen- und Argumentekarten sowie Arbeitsblätter, dank denen die Lehrkräfte das Spiel eigenständig mit ihren Schülerinnen und Schülern durchführen konnten.

Für die «breite Öffentlichkeit» wurden fünf «Unterhausdebatten» organisiert, an denen sich die Teilnehmenden über die Genomchirurgie austauschen konnten. Zwei Sachverständige auf dem Gebiet der Naturwissenschaften bzw. der Ethik oder des Rechts gaben jeweils eine Einführung in das Thema. Danach setzten sie sich ins Publikum, um spezifische Fragestellungen mit diesem zu diskutieren. Die Teilnehmenden konnten ihre Meinung zur jeweiligen Frage durch entsprechenden Sitzplatzwechsel zum Ausdruck zu bringen.

Es fanden drei weitere öffentliche Veranstaltungen in Form eines Planspiels statt, bei dem die Krebsbehandlung mittels somatischer Gentherapie Thema war. Während des Spiels setzten sich die Teilnehmenden vertieft mit der hypothetischen Situation einer an Krebs erkrankten Patientin auseinander, die sich nicht sicher ist, ob eine neu Gentherapie, bei der das CRISPR-Cas9-Verfahren zum Einsatz kommt, in ihrem Fall die richtige Wahl wäre. Die Teilnehmenden wurden von Sachverständigen beraten und durch die Moderation unterstützt.

Die Leopoldina organisierte drei Veranstaltungen in Halle (Saale) und Berlin für Journalistinnen und Journalisten sowie Forschende und weitere interessierte Stakeholder aus Politik und Wissenschaft. An zwei vom Leopoldina-Journalistenkolleg veranstalteten Fortbildungsseminaren trafen sich Journalistinnen und Journalisten sowie Redakteurinnen und Redakteure mit Fachleuten aus den Bereichen Biologie, Medizin, Ethik und Recht und konnten so aus ganz verschiedenen Perspektiven einen vertieften Einblick in den Fachbereich der Genomchirurgie gewinnen. Ziel war es, die Journalistinnen und Journalisten für dieses komplexe Thema zu sensibilisieren und so eine qualifizierte Medienberichterstattung zu fördern. Im Rahmen eines Workshops wurde eine Unterhausdebatte organisiert, an der Mitglieder der Leopoldina sowie Sachverständige aus dem Krankenhausbereich, der Gesundheitsversorgung, von medizinischen Gesellschaften und Patientenorganisationen teilnahmen.

Der an die Stakeholder aus allen Zielgruppen gerichtete Abschlussworkshop hatte zum Ziel, die Erkenntnisse aus den vorgängigen Veranstaltungen zu präsentieren und zu diskutieren sowie den Teilnehmenden mittels Gruppendiskussionen neue Perspektiven zu vermitteln. Die Studierenden im Masterstudiengang Sozialwissenschaften konnten die Veranstaltungen im Vorfeld beobachten, um festzustellen, wie die Teilnehmenden auf die interaktiven Veranstaltungsformate reagierten. Ihre Erkenntnisse wurden während des Workshops analysiert. Am Schluss des Projekts wurde eine Zusammenfassung des erfolgten Austauschs zur Verfügung gestellt.

Website des Projekts (auf Deutsch): www.genomchirurgie.de


Nennenswerte Aspekte und gewonnene Erkenntnisse

Die im Verlauf des Projekts getesteten Veranstaltungsformate wiesen unterschiedliche Vor- und Nachteile auf, womit sie auch für jeweils unterschiedliche Zielgruppen und Zwecke geeignet waren. Die für Veranstaltungen vorgesehenen Werbemassnahmen sollten gut geplant und breit gestreut sein.

Das Format «Unterhausdebatte» eignet sich für grosse Gruppen bis zu 100 Personen mit wenig oder gar keinem Vorwissen zum Thema. Im Gegensatz zur Podiumsdiskussion ist dieses Format viel interaktiver und ermöglicht es, mehr Personen zu Wort kommen zu lassen. Es braucht jedoch eine erfahrene Moderation, und die Sachverständigen müssen sich eingehend vorbereiten.

Das Format Planspiel eignet sich für kleinere Gruppen bis maximal 50 Personen und spricht üblicherweise ein von vornherein interessiertes Publikum an. Planspiele dauern länger und ermöglichen eine vertiefte und differenzierte Auseinandersetzung mit der Thematik. Die Entwicklung eines neuen Spiels oder ein Spiel an ein neues Thema anzupassen erfordert Zeit und Ressourcen.

Seminare für Journalistinnen und Journalisten sind ein wertvolles Instrument, um Wissenschaft und Medien zusammenzubringen, wissenschaftliche Erkenntnisse zu vermitteln und einen gemeinsamen Austausch über die Perspektiven und Vorteile der Forschung zu ermöglichen. Ferner steht für die Teilnehmenden weniger die Berichterstattung zur laufenden Veranstaltung selbst als vielmehr das Knüpfen nützlicher Kontakte für künftige Reportagen im Vordergrund.

Einen repräsentativen Teil der Bevölkerung zu gewinnen, um derart komplexe Themen gemeinsam zu diskutieren, ist nicht einfach. Meist werden mit solchen Formaten bereits engagierte und interessierte Menschen erreicht. Es ist bei dieser Veranstaltungsreihe jedoch gelungen, genügend Teilnehmende zu gewinnen. Geschätzt wurde insbesondere das Angebot einer Abendveranstaltung zum Thema Genomchirurgie, und es zeigte sich, dass Informations- und Diskussionsbedarf hoch sind.

Auswirkung des Projekts

Alle Teilnehmenden des Stakeholder-Workshops betonten die Wichtigkeit solcher partizipativen Veranstaltungen und äusserten den Wunsch, dass weitere ergänzende thematische Diskussionen (unter anderem zu Embryonenforschung, Keimbahntherapie, grüne Gentechnik, Genmanipulation an Nutztieren) organisiert werden. Es sollte darauf geachtet werden, dass die Diskussionen trotz ihrer Komplexität für die breite Öffentlichkeit zugänglich bleiben. Generell könnte man auch weitere Teilnehmende in die Veranstaltungen einbeziehen, um eine noch grössere Diversifizierung des Publikums zu erreichen.

Im Rahmen der begleitenden sozialwissenschaftlichen Untersuchungen wurden die Partizipationsformate aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet. Diese Formate und die gewonnenen Erkenntnisse können bei künftigen Kommunikationsprojekten herangezogen werden.