Jasar gegen „ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien"  | 2007

Versäumnis, mutmaßliche Polizeigewalt zu untersuchen

Das Gericht stellt fest, dass die nationalen Behörden nichts unternahmen, um die Personen zu identifizieren, die anwesend waren, als der Beschwerdeführer festgenommen wurde oder als er seine Verletzungen erhielt; es gibt auch keinerlei Hinweis darauf, dass Zeugen, betroffene Polizeibeamte oder der Arzt, der den Beschwerdeführer untersuchte, zu den Verletzungen des Beschwerdeführers befragt wurden.

Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, Februar 2007

Hintergrund

Pejrusan Jasar war in einer Bar in Štip. Es entwickelte sich eine Auseinandersetzung, die sich laut Herrn Jasar am anderen Ende der Bar ereignete. Als die Polizei eintraf, beschlossen die Beamten, alle Anwesenden in Gewahrsam zu nehmen.

Laut Herrn Jasar wurde er in der örtlichen Polizeiwache in eine Zelle verbracht und aufgefordert, sich nach vorne zu beugen. Ein Polizeibeamter trat ihm dann mutmaßlich gegen den Kopf, bevor er ihn mit einem Schlagstock stieß und schlug. Ein Arztbericht vom folgenden Tag bestätigte, dass Herr Jasar eine Reihe von Verletzungen erlitten hatte.

Herr Jasar erstattete Anzeige bei den Behörden. Der Staatsanwalt leitete jedoch keine Ermittlungen ein. Herr Jasar konnte keine weiteren Beweise sichern und man hinderte ihn daran, selbst Strafanzeige bei einem Gericht einzubringen.

Urteil des EGMR

Der Straßburger Gerichtshof entschied, es habe zu keinem Zeitpunkt Ermittlungen in Bezug auf die Anschuldigungen von Herrn Jasar wegen Polizeigewalt gegeben. Dies habe seine Grundrechte verletzt.

Nachbereitung

In Folge dieses Falles und einer Reihe ähnlicher Feststellungen des Straßburger Gerichtshofs wurden zahlreiche Schritte ergriffen, um sicherzustellen, dass bei Anschuldigungen in Bezug auf Polizeibrutalität in diesem Land ordnungsgemäß ermittelt wird.

  • 2010 wurde ein neues Staatsanwaltsgesetz eingeführt, das gesetzliche Reformen widerspiegelt, die speziell darauf abzielen, die vom Gerichtshof festgestellten Mängel zu beheben. Es schloss die Forderung ein, dass Staatsanwälte/-anwältinnen innerhalb von drei Monaten nach Erhalt über eine Strafanzeige entscheiden müssen. Wenn ein Staatsanwalt/-anwältin dies versäumt, ist er/sie verpflichtet, den Geschädigten und einen übergeordneten Staatsanwalt zu informieren;
  • Eine bindende Anweisung aus dem Jahr 2013 erklärt, dass alle Fälle mutmaßlicher Misshandlungen oder Folter durch die Behörden dem Generalstaatsanwalt zu melden sind;
  • Es wurde eine Schulung für Richter/Richterinnen, Staatsanwälte/-anwältinnen und Polizeikräfte organisiert, bei der die Standards des Straßburger Gerichtshofs für ordnungsgemäße Ermittlungen bei Anschuldigungen von Polizeibrutalität erklärt wurden.

Herrn Jasar wurde eine Entschädigung in Höhe von 3.000 Euro zugesprochen.

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