Mubilanzila Mayeka und Kaniki Mitunga gegen Belgien  | 2006

Durchführung von Reformen nach unmenschlicher Behandlung eines vierjährigen Mädchens

Für den Gerichtshof steht zweifelsfrei fest, dass eine Inhaftierung zu den beschriebenen Bedingungen eine erhebliche Belastung für sie war. Auch dürfte den Behörden, die ihre Inhaftierung anordneten, die schweren psychischen Auswirkungen, die diese auf sie haben würde, erkennbar gewesen sein.

Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, 12. Oktober 2006

Hintergrund

2002, als sie vier Jahre alt war, reiste die kongolesische Staatsangehörige Tabitha Mitunga mit ihrem Onkel nach Kanada, wo ihrer Mutter Asyl gewährt worden war. Während ihrer Reise wurde Tabitha am Flughafen in Brüssel in Gewahrsam genommen, weil sie nicht über die korrekten Papiere für eine Einreise nach Belgien verfügte.

Tabitha wurde von den belgischen Behörden fast zwei Monate festgehalten. Sie war von ihrem Onkel getrennt worden und hatte keinen Kontakt zur Familie oder zu Freunden. Sie wurde am gleichen Ort wie Erwachsene untergebracht, ohne dass ihr eine Betreuerin an die Seite gestellt wurde. Sie wurde schließlich in die Demokratische Republik Kongo angeschoben. Ihre Mutter wurde jedoch davon im Vorfeld nicht informiert, so dass niemand auf Tabitha wartete, als sie in ihrem Heimatland eintraf.

Urteil des EGMR

Der Gerichtshof entschied, die Inhaftierung habe schwere psychische Auswirkungen auf Tabitha gehabt. Des Weiteren sei sie ungeachtet der Situation, die sie bei ihrer Ankunft erwartet habe, abgeschoben worden. Ihre Inhaftierung und Abschiebung seien eine unmenschliche Behandlung und eine Verletzung ihres Rechts auf Privatleben gewesen - sowohl für Tabitha als auch ihre Mutter. Die Verletzungen seien auf fehlende rechtliche Bestimmungen in Belgien zurückzuführen, wie man mit unbegleiteten Minderjährigen umzugehen habe.

Der Gerichtshof stellte auch aufgrund der unangemessenen Inhaftierung und des Fehlens einer wirksamen Möglichkeit der Anfechtung eine Verletzung von Tabithas Recht auf Freiheit fest.

Nachbereitung

Tabitha konnte im Oktober 2002 schließlich zu ihrer Mutter nach Kanada reisen, nachdem der belgische und der kanadische Premierminister eingegriffen hatten.

Nachdem der Fall beim Straßburger Gerichtshof eingereicht worden war, wurden 2004 persönliche Betreuer für unbegleitete Minderjährige eingeführt. Die Betreuer haben die Aufgabe, die Interessen der Kinder zu vertreten, während sie sich in staatlicher Obhut befinden, und sie sind befugt, einen Abschiebebefehl anzufechten. Darüber hinaus wurde 2007 das Gesetz geändert, so dass in nahezu allen Fällen eine Inhaftierung unbegleiteter Minderjähriger abgeschafft wurde. Und ein Gesetz von 2012 fordert, dass unbegleitete Minderjährige, die abgeschoben werden könnten, in dem Land, in das sie abgeschoben werden, ordnungsgemäß empfangen und betreut werden.

Links

Themes:

Ähnliche Beispiele

Lehrkräfte stellen körperliche Züchtigung von Kindern nach Beschwerde schottischer Mütter in Straßburg ein

Die Kinder von Grace Campbell und Jane Cosans besuchten staatliche Schulen, die weiterhin den Einsatz der körperlichen Züchtigung zuließen. Die zwei Mütter reichten Beschwerde beim Straßburger Gerichtshof ein, der feststellte, die körperliche Züchtigung verletze das Recht der Mütter, ihre Kinder in Einklang mit ihren eigenen Überzeugungen erziehen zu lassen. Kurz danach schaffte die britische...

Read more

Gerechtigkeit für geistig behinderte Sechzehnjährige, die sexuell missbraucht wurde

Die geistig behinderte Frau Y. wurde eine Nacht nach ihrem sechzehnten Geburtstag sexuell missbraucht. Der Vater von Y. versuchte, ein Strafverfahren gegen den Angreifer einzuleiten, aber das niederländische Recht besagte, nur das Opfer könne dies tun. Der Zustand von Y. bedeutete, dass sie dazu nicht in der Lage war, so dass ihr Angreifer nie gerichtlich zur Verantwortung gezogen wurde. Der...

Read more

Versäumnis, in mutmaßlicher Brutalität gegen Mann zu ermitteln, der versuchte, der Polizei zu helfen

Cvetan Trajkoski versuchte, der Polizei eine gefährliche Situation zu melden. Er wurde dann mutmaßlich von einer Gruppe Beamter verprügelt, augenscheinlich weil er seinen Wagen an einer falschen Stelle geparkt hatte. Der Straßburger Gerichtshof entschied, die Behörden hätten es versäumt, ordnungsgemäße Ermittlungen im Hinblick auf den mutmaßlichen Angriff durchzuführen. Dieser und andere Fälle...

Read more