Gjini gegen Serbien  | 2019

Neue Maßnahmen zur Verhütung und Überwachung von Gewalt im Strafvollzug nach Vergewaltigungsmartyrium eines Unschuldigen

. . . der Gerichtshof stellt fest, dass die Strafvollzugsbehörden die Anzeichen von Gewalt nicht bemerkt oder darauf reagiert haben . . .

Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, April 2019

Hintergrund

Die serbische Polizei nahm 2008 Fabian Gjini wegen Verdachts der Verwendung einer gefälschten Banknote fest. Untersuchungen ergaben später, dass die Banknote tatsächlich echt war.

Gjini verbrachte 31 Tage im Gefängnis. Er wurde in einer Zelle mit vier weiteren Insassen untergebracht. In der Zelle gab es kein richtiges Bett und Gjini war gezwungen, auf dem Boden zu schlafen.

Sein traumatisches Martyrium begann umgehend. Gjinis Zellengenossen beschlossen, ihn zu erniedrigen. Sie zwangen ihn, immer wieder den Boden zu wischen, und traten und schlugen ihn regelmäßig. Die Insassen ließen Gjini die ganze Nacht in kaltem Wasser stehen. Er durfte sich nicht bewegen. An seinen Füßen bildeten sich Geschwüre und offene Wunden. Gjinis Zellengenossen drohten, ihn umzubringen, wenn er der Gefängnisleitung die Misshandlung meldete.

Laut Gjini betäubten ihn die Zellengenossen später und vergewaltigten ihn. Anschließend rasierten sie ihm den Kopf und die Augenbrauen, um ihn als Vergewaltigungsopfer zu kennzeichnen. Gjini behauptete, dass die Gefängniswärter Bescheid wussten, was mit ihm geschah, doch nichts unternahmen, um dem ein Ende zu setzen.

Nach seiner Entlassung beschwerte sich Gjini bei den Behörden über seine Misshandlung. Die serbischen Gerichte stellten schließlich fest, dass er während seiner Haft gelitten hatte, und sprachen ihm € 2.350 als Entschädigung zu.

Gjini, der wegen seines Gefängnismartyriums unter posttraumatischer Belastung litt, war nicht der Meinung, dass der Gerechtigkeit Genüge getan worden war.

Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte

Der Europäische Gerichtshof stellte fest, dass die serbischen Strafvollzugsbehörden die Gewalt gegenüber Gjini nicht erkannt, verhindert oder überwacht haben. Der Staat habe es ebenso versäumt, seine Beschwerden zu untersuchen oder wegen diesen eine Strafverfolgung einzuleiten. Dies war ein Verstoß gegen Gjinis Rechte.

Der Gerichtshof sprach Gjini € 25.000 als Entschädigung zu.

. . . das Gefängnispersonal . . . muss bemerkt haben, dass [Gjinis] Augenbrauen rasiert worden waren, dass er einen merkwürdigen Haarschnitt hat und dass seine Haut verletzt worden war.

Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, April 2019

Folgemaßnahmen

Zum Zeitpunkt des Urteils des Europäischen Gerichtshofs in Gjinis Fall hatte Serbien bereits harte Maßnahmen zur Verhütung und Überwachung von Gewalt in Haftanstalten ergriffen.

Im Anschluss an die Verabschiedung einer nationalen Strategie im Jahr 2013 wurde ein neues Gesetz zur besseren Regelung des Verfahrens zum Vollzug strafrechtlicher Sanktionen wie Gefängnisstrafen eingeführt. Das neue Gesetz soll die Infrastruktur und Sicherheit in Gefängnissen verbessern und die Menschenrechte von Häftlingen schützen.

Gemäß den neuen Vorschriften kann Gefängnispersonal entlassen werden, wenn es Verstöße gegen die Hausordnung einer Einrichtung, darunter Gewalt unter Häftlingen, nicht meldet.

Das medizinische Personal muss von Häftlingen erlittene Verletzungen in gesonderten Aufzeichnungen festhalten und Strafvollzugsbeamte über jegliche Anzeichen von Gewaltanwendung in Kenntnis setzen. Häftlinge können zudem direkt bei einem Richter Beschwerden über Gewalt im Strafvollzug einbringen.

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