Colaço Mestre und SIC gegen Portugal  | 2007

Journalist, der für das Stellen von Fragen verurteilt wurde, gewinnt Beschwerde in Bezug auf die Meinungsfreiheit am EGMR

Ich war schockiert, als ich verurteilt wurde.

José Manuel Colaço Mestre, zitiert von Publico

Hintergrund

José Manuel Colaço Mestre filmte einen Bericht für den Fernsehsender SCI über die mutmaßliche Bestechung portugiesischer Fußballschiedsrichter. Der Bericht schloss ein Interview ein, in dem die Handlungen des Vorsitzenden des FC Porto und des damaligen Präsidenten des portugiesischen Fußballverbandes, Herrn Pinto de Costa, diskutiert wurde. Herr Colaço Mestre fragte seinen Interviewpartner nach der Doppelrolle von Herrn Pinto de Costa und ob es ein Problem für diesen sei, einer der größten Fußballvereine des Landes zu führen und gleichzeitig der „Chef der Schiedsrichter" zu sein.

Dies reichte Herrn Pinto de Costa aus, um eine Verleumdungsklage einzureichen.

Herr Colaço Mestre und der Sender SCI wurden beide der Verleumdung für schuldig befunden, allein auf der Grundlage der in dem Interview gestellten Fragen. Sie mussten beide Schadensersatz an Herrn Pinto de Costa zahlen. Herr Colaço Mestre musste außerdem eine zusätzliche Geldbuße zahlen oder eine dreimonatige Freiheitsstrafe verbüßen.

Urteil des EGMR

Der Straßburger Gerichtshof entschied, die im Interview getätigten Äußerungen hätten nicht gegen journalistische ethische Verhaltensregeln verstoßen. Das Interview habe sich auf das Verhalten einer öffentlichen Person in einem Bereich von großem öffentlichem Interesse bezogen. Es habe keine ausreichenden Gründe für das Verhängen solch schwerer Strafen gegeben.

Die Verurteilung von Herrn Colaço Mestre und des Senders SCI habe aus diesem Grund deren Recht auf Meinungsfreiheit verletzt.

Das Gericht erinnert daran, dass gemäß seiner etablierten Rechtsprechung die Meinungsfreiheit einer der wesentlichen Grundpfeiler einer demokratischen Gesellschaft ist und eine der Grundvoraussetzungen für deren Fortschritt und die Selbstverwirklichung einer jeden Person.

Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, April 2007

Nachbereitung

Es wurde für die Mehrzahl der leitenden Angehörigen des portugiesischen Justizsystems eine intensive Schulung über den Schutz der Meinungsfreiheit laut Europäischer Menschenrechtskonvention organisiert. Die Teilnehmer schlossen den Justizminister, den Direktor des Zentrums für juristische Studien und mehr als zweihundert Richter ein.

Herr Colaço Mestre beantragte erfolgreich eine Wiederaufnahme seines Verfahrens und wurde freigesprochen. Er und der Sender SCI erhielten eine Entschädigung.

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