V.C. gegen die Slowakei | 2011

Zwangssterilisation von Roma-Frau führt zu strengeren Regeln für die Einwilligung in Behandlungen

…Sterilisation ist ein massiver Eingriff in den reproduktiven Gesundheitszustand einer Person.

Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, November 2011

Hintergrund

Die 20-jährige V.C. musste im Jahr 2000 wegen starker Geburtswehen schnell ins Krankenhaus gebracht werden. Bei ihrer Ankunft wurde ihr erklärt, dass sie ihr Baby per Kaiserschnitt bekommen würde. 

Die Ärzte warnten V.C, dass sie oder ihr Baby sterben würden, falls sie wieder schwanger werden würde. Unter heftigen Schmerzen und aus Angst, dass ihre nächste Schwangerschaft tödlich sein würde, sagte V.C.: „Tun Sie, was Sie tun wollen.“

Sie unterschrieb ein Formular, welches das Krankenhauspersonal als ihre Einwilligung in eine Sterilisation interpretierte – obgleich V.C. nicht verstand, was Sterilisation bedeutete. 

Das Verfahren wurde sofort ausgeführt und V.C. wurde unfruchtbar gemacht. 

In ihrer Krankenakte wurden die Worte „Patientin ist romastämmig“ eingetragen. Während ihres Krankenhausaufenthalts wurde sie in einem Zimmer nur für Roma-Frauen untergebracht und sie durfte nicht dieselben Toiletten benutzen wie Nicht-Roma-Patienten. 

V.C.s körperliche und psychische Gesundheit verschlechterte sich wegen ihrer Unfruchtbarkeit rasch. Ihre Ehe ging in die Brüche und ihre Gemeinschaft ging ihr aus dem Weg. 

V.C. erfuhr mit Bestürzung, dass Sterilisation allgemein nicht als lebensrettender Eingriff gilt und dass andere Roma-Frauen in der Slowakei behaupteten, dass sie ebenfalls zwangssterilisiert wurden. Einige dieser Beschwerden reichten schon Jahrzehnte zurück. 

Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte

Der Europäische Gerichtshof stellte fest, dass das Verhalten der slowakischen Behörden eine „grobe Missachtung von [V.C.s] Recht auf Selbstbestimmung und Entscheidungsfreiheit als Patientin“ darstellte. 

Das Sterilisationsverfahren sei weder aus medizinischer Sicht unmittelbar notwendig gewesen, noch habe V.C. ihre freie und informierte Einwilligung gegeben. Dies komme Misshandlung gleich.

Die Slowakei habe keine wirksamen Maßnahmen zum Schutz von V.C.s reproduktiver Gesundheit als romastämmiger Frau getroffen. 

Der Gerichtshof sprach ihr einen Schadenersatz von € 31.000 zu.

Folgemaßnahmen 

Vor dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs nahm die Slowakei Änderungen in Form des Krankenpflegegesetzes von 2004 vor und folgte damit den Empfehlungen einer Expertengruppe, die eingesetzt worden war, um mutmaßliche rechtswidrige Sterilisationen sowie die Segregation von Roma-Frauen zu untersuchen. 

Durch diese Änderungen wurde das Gesetz in Einklang mit internationalen Menschenrechtsnormen zur informierten Einwilligung von Patienten in Behandlungen gebracht, darunter das Übereinkommen des Europarates über Menschenrechte und Biomedizin. 

Weitere Änderungen am Krankenpflegegesetz wurden 2011 im Anschluss an einen Bericht des Menschenrechtskommissars des Europarates vorgenommen, darunter die Bereitstellung von Formularen für die schriftliche informierte Einwilligung auf Romanes. 

2021 forderte die Menschenrechtskommissarin den slowakischen Premierminister auf, für eine Wiedergutmachung für die Opfer von Zwangssterilisationen zu sorgen, einschließlich des Zugangs zu Entschädigungen.

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