Elberte gegen Lettland |2015

Klarere Einwilligungsregeln, nachdem Witwe nicht über Gewebeentnahme aus Leichnam ihres verstorbenen Ehemanns informiert wurde

Im Spezialgebiet der Organ- und Gewebetransplantation wird allgemein anerkannt, dass der menschliche Körper auch nach dem Tod weiterhin mit Respekt behandelt werden muss.

Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, Januar 2015

Hintergrund

Dzintra Elbertes Ehemann, Egils Elberts, starb 2001. 

Elberte war verweifelt, als der Leichnam ihres Ehemanns mit zusammengebundenen Beinen zurückgebracht wurde. Er musste so verbrannt werden. 

Zwei Jahre später wurde Elberte von der Polizei kontaktiert. Sie untersuchten Beschwerden wegen illegaler Entnahmen von Organen und Gewebe aus Leichnamen zwischen 1994 und 2003. Aus Egil Elberts’ Körper war nach seinem Tod ohne Dzintra Elbertes Wissen oder Einwilligung Gewebe entnommen worden.

Im Rahmen einer staatlich bestätigten Vereinbarung wurde Egil Elberts’ Körpergewebe entnommen und versandt, um es in Bioimplantate umzuwandeln. Medizinische Sachverständige erklärten, dass Egil Elberts’ Pass keinen Stempel enthielt, der anzeigte, dass er sich gegen eine Spende entschieden hatte. Dzintra Elberte behauptete, dass sie dies nicht überprüft haben konnten, weil der Pass ihres Ehemanns zu Hause war. 

Die Sachverständigen waren überzeugt, dass sie rechtlich gesehen lediglich überprüfen mussten, ob potenzielle Spendende zu Lebzeiten gegen die Entnahme von Organen oder Gewebe waren. Wenn Angehörige Einspruch erheben, werden ihre Wünsche respektiert, doch die Sachverständigen versuchten nicht aktiv, sie zu kontaktieren. 

Polizei und Staatsanwaltschaft waren in der Frage, ob die Sachverständigen Organe oder Gewebe nur entnehmen sollten, wenn es von potenziellen Spendenden oder ihren Angehörigen ausdrücklich gestattet worden ist, uneinig. 

Das Ermittlungsverfahren wurde wegen dieser gegensätzlichen Standpunkte mehrmals beendet und wieder aufgenommen. Eine endgültige Entscheidung wurde getroffen, als ein lettisches Gericht 2008 urteilte, dass die Sachverständigen nicht gegen das Gesetz verstoßen hatten, indem sie Angehörige nicht über ihre Absichten, Gewebe aus den Leichnamen der ihnen Nahestehenden zu entnehmen, in Kenntnis gesetzt hatten.  

Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte

Der Europäische Gerichtshof urteilte, dass das lettische Recht in diesem Bereich unklar und anfällig für Missbrauch ist. Dzintra Elberte sei einer langen Zeit der Ungewissheit, Angst und Verzweiflung hinsichtlich dessen, was mit dem Leichnam ihres Ehemanns geschehen war, ausgesetzt gewesen. Das Gericht stellte fest, dass ihre Menschenrechte verletzt worden waren.

. . . eine derartige Uneinigkeit in Bezug auf den Geltungsbereich des anwendbaren Rechts unter eben jenen Behörden, die für seine Durchsetzung zuständig sind, deutet zwangsläufig auf einen Mangel an ausreichender Klarheit hin.

Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, Januar 2015

Folgemaßnahmen

Lettland führte klarere Regeln zur Feststellung der Einwilligung zur Nutzung der Organe oder Gewebe einer Person nach ihrem Tod ein:

  • Im Jahr 2004 wurde das Gesetz geändert, um Angehörigen das Recht zu gewähren, einer medizinischen Einrichtung schriftlich den Willen der ihnen Nahestehenden mitzuteilen, wenn im Register keine Daten erfasst sind. 
  • Im Gesetz von 2010 über Patientenrechte sind die Rechte von Angehörigen, in Situationen, in denen der Wille einer Person festgestellt werden muss, eine Entscheidung zur medizinischen Behandlung zu treffen, niedergelegt. Dieses Gesetz gilt auch für die Entnahme von Organen und Gewebe.
  • Im Jahr 2017 wurde ein neuer Leitfaden veröffentlicht, der medizinische Sachverständige dabei unterstützen soll, Informationen zur Einwilligung oder dem Widerspruch einer verstorbenen Person bezüglich der Nutzung ihrer Organe oder von Körpergewebe zu überprüfen. 
  • Im März 2017 unterzeichnete Lettland das Übereinkommen des Europarates gegen den Handel mit menschlichen Organen. 
Themes:

Ähnliche Beispiele

Kampf einer Mutter um das Leben ihres Kindes führt zu besseren Leitlinien zur elterlichen Einwilligung in Behandlungen

Ärzte glaubten, dass David Glass im Sterben lag – doch seine Mutter, Carol Glass, war anderer Ansicht. Der Europäische Gerichtshof urteilte, dass die britischen Gesundheitsbehörden eine gerichtliche Genehmigung hätten einholen müssen, bevor sie bei David eine Behandlung durchführten, in die Glass nicht eingewilligt hatte. Das Urteil führte dazu, dass das Vereinigte Königreich seine Leitlinien...

Read more