Armenisches Helsinki-Komitee gegen Armenien  | 2015

Ungerechtfertigtes Verbot einer friedlichen Demonstration führt zu Reformen zum Schutz der Versammlungsfreiheit

Das Recht auf friedliche Versammlung, das in Artikel 11 verankert ist, ist ein Grundrecht in einer demokratischen Gesellschaft und, wie die Meinungsfreiheit, eine der Fundamente einer solchen Gesellschaft.

Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, 31. März 2015

Hintergrund

L.G. war Zeuge in einer Mordermittlung. Sein Tod in Polizeigewahrsam zog einen Aufschrei der armenischen Zivilgesellschaft nach sich.

Das armenische Helsinki-Komitee ist eine NRO für Menschenrechte. Ein Jahr nach dem Tod von L.G. unterrichtete die NRO die Behörden, dass sie die Absicht hätten, einen Gedenkmarsch in Jerewan abzuhalten. Der Bürgermeister verbot den Marsch mit der Begründung der nationalen Sicherheit. Die NRO wurde über das Verbot nicht unterrichtet und wurde von der Polizei an der Durchführung des Marsches gehindert.

Die NRO argumentierte, das Verbot habe ihr Recht verletzt, öffentliche Versammlungen abzuhalten.

Urteil des EGMR

Der Bürgermeister von Jerewan habe den Marsch mit der Begründung der nationalen Sicherheit verboten und auf die Tatsache verwiesen, Versammlungen nach der erst kürzlich erfolgten Wahl hätten zu Zusammenstößen mit den Behörden geführt.

Der Gerichtshof erklärte jedoch, der Marsch des Helsinki-Komitees sei mehr als zwei Monate nach den Zusammenstößen nach den Wahlen geplant gewesen. Es habe auch keine Belege gegeben, dass die Organisatoren und Teilnehmer mit den damaligen Zusammenstößen in Verbindung gestanden hätten oder dass sie beabsichtigt hätten, die öffentliche Ordnung zu stören.

Der Gerichtshof erklärte, das Recht auf friedliche Versammlung sei grundlegend für eine demokratische Gesellschaft. Er bezweifelte, dass die von den Behörden angeführten Gründe für den Eingriff in dieses Recht notwendig oder ausreichend gewesen seien. Die Entscheidung, den Marsch zu verbieten, habe somit das Recht des Helsinki-Komitees auf freie Versammlung verletzt. Der NRO sei außerdem eine wirksame Möglichkeit verweigert worden, das Verbot in Armenien anzufechten.

Nachbereitung

Nachdem die armenische Regierung im Januar 2010 über den Fall in Kenntnis gesetzt worden war, erfolgten signifikante Reformen, um das Recht, friedlich öffentliche Demonstrationen abzuhalten, mit den Grundsätzen der Europäischen Menschenrechtskonvention in Einklang zu bringen.

  • 2011 wurde ein Versammlungsgesetz verabschiedet, das verschiedene Absicherungen für die Versammlungsfreiheit einführte, u.a. den Grundsatz, dass das Verbot oder die Auflösung einer Versammlung eine letzte Maßnahme im Fall von Gewalt sein sollte.
  • Das Gesetz erklärt, dass, selbst wenn eine Versammlung ohne ordnungsgemäße Anmeldung bei den Behörden erfolgt und diese friedlich ist, die Polizei diese ermöglichen sollte.
  • Das Gesetz von 2011 legt auch fest, dass eine Regulierungsbehörde für Versammlungen zuständig sein soll. Diese Behörde muss Anträge auf Versammlungen innerhalb von 48 Stunden beantworten, und ihre Entscheidungen unterstehen der gerichtlichen Prüfung.
  • Zwischen 2011 und 2017 wurden 1.369 Anmeldungen beim Büro des Bürgermeisters eingereicht. Die Versammlung wurde lediglich in neun Fällen verboten, und nur eine Entscheidung wurde vor einem Verwaltungsgericht angefochten.
  • 2015 erfolgten Änderungen an der Verfassung, um das Versammlungsrecht noch nachhaltiger zu schützen. Diese Änderungen schlossen das Recht ein, spontane Versammlungen ohne vorherige Anmeldung durchzuführen.
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