Sakir gegen Griechenland |2016

Gesetze zu Hassverbrechen gestärkt, nachdem Polizei rassistischen Angriff nicht angemessen untersuchte

...es wurde keine Aussage über die Umstände des Angriffs oder die Identität der Täter von [Sakir] selbst aufgenommen.

Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, Juni 2016

Hintergrund

Im Jahr 2009 wurde Rafi Sakir in einem Teil der Athener Innenstadt, die für rassistische Angriffe bereits bekannt war, von einer bewaffneten Bande brutal niedergestochen und geschlagen.

Als Sakir vier Tage später das Krankenhaus verließ, nahm ihn die Polizei sofort fest und ordnete seine Ausweisung an, da er keine Aufenthaltsgenehmigung hatte.

Sakir war nach Griechenland gekommen, weil er vor politischer Verfolgung in Afghanistan geflohen war. Er hatte versucht, Asyl zu beantragen, erklärte jedoch, dass er keinen Zugang zu den zuständigen Diensten hatte.

Trotz seines schlechten Gesundheitszustands nach dem Angriff erhielt Sakir keine medizinische Versorgung, während er in einer schmutzigen, überbelegten Polizeizelle festgehalten wurde – obwohl das ärztliche Fachpersonal erklärt hatte, er solle zwecks Kontrolluntersuchungen ins Krankenhaus zurückkehren.

Sakir wurde erst nach neun Tagen Haft ins Krankenhaus gebracht und am nächsten Tag aus dem Polizeigewahrsam entlassen.

Die Polizei forderte Sakir nicht auf, eine Aussage dazu zu machen, was geschehen war, oder die Identität von zwei Personen zu bestätigen, die laut Zeugen den Angriff ausgeführt hatten.

Im Jahr 2012 stellte die Polizei die Ermittlungen zu dem Vorfall ein, nachdem sie die Täter nicht finden konnte. Niemand wurde für den Angriff auf Sakir je verurteilt.

Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte

Der Europäische Gerichtshof stellte fest, dass die griechischen Behörden den Angriff auf Sakir nicht angemessen untersucht hatten. Dies war ein Verstoß gegen seine Rechte. 

Internationale Menschenrechtsgruppen lieferten dem Gerichtshof Beweismittel, die einen Anstieg rassistischer Angriffe im Zentrum Athens zeigten, welche mit der Zunahme von Rechtsextremismus in Griechenland seit 2009 zusammenfallen. Ihre Berichte zeigten auch schwerwiegende Fehler der Polizei im Hinblick auf eine angemessene Untersuchung derartiger Verbrechen auf.

Die griechische Polizei hätte es vollständig versäumt, den Angriff auf Sakir in diesen allgemeinen Kontext einzuordnen und ihn als einen Einzelfall behandelt, so die Schlussfolgerung des Europäischen Gerichtshofs.

Der Gerichtshof befand zudem, dass Sakir unter schlechten Bedingungen im Polizeigewahrsam festgehalten worden sei und dass die Behörden seine Gesundheit und sein Wohlbefinden nicht gewährleistet hätten.

Folgemaßnahmen

Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs in Sakirs Fall nahmen die griechischen Behörden die Untersuchung des Angriffs wieder auf. Allerdings konnten trotz wiederholter Nachforschungen weder Sakir noch ein wichtiger Zeuge gefunden werden.

Seit dem Angriff auf Sakir hat Griechenland verschiedene Maßnahmen ergriffen, um Hassverbrechen gegen gefährdete Bevölkerungsgruppen zu bekämpfen:

  • Die Definitionen dessen, was unter Hassverbrechen fällt, sind nun genauer und Straftäter werden härter bestraft.
  • Es wurden Polizeisondereinheiten und spezialisierte Staatsanwaltschaften eingerichtet, die mit der Untersuchung und Verfolgung von Hassverbrechen betraut sind.
  • Der Richterschaft und der Staatsanwaltschaft wurden Weiterbildungen zur ordnungsgemäßen Anwendung der Gesetze zu Hassverbrechen angeboten.
  • Im Jahr 2015 wurde der Nationale Rat gegen Rassismus und Intoleranz gegründet. Der Rat ist ein Beratungsorgan, dessen Aufgabe die Entwicklung von Strategien gegen Rassismus und die Koordinierung von Maßnahmen zwischen den zuständigen Behörden sowie die Stärkung ihrer Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft ist.

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