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Laudatio Rainer Hofmann's 70th Anniversary

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Jörg Polakiewicz*

Laudatio Rainer Hofmann

Herr Präsident, sehr verehrter lieber Rainer, meine sehr geehrten Damen und Herren,

Wenn ich mich richtig erinnere, haben ich den Jubilar Anfang 1987 in Heidelberg am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht getroffen. Du warst gerade vom Bundesverfassungsgericht zurückgekommen, wo Du als wissenschaftlicher Mitarbeiter gearbeitet hattest. Ich kam Ende 1986 als Referendar an das Institut. Während ich meine Dissertation schrieb, hast Du Dich an der Universität Heidelberg habilitierst.

Auch wenn wir für verschiedene Direktoren arbeiteten, Du für Professor Bernhard, ich für Professor Frowein, so gab es doch immer wieder Themen, die uns beide zusammengebracht haben. Da war zum ersten Dein Interesse für Spanien und die spanischsprechende Welt. Soweit ich weiß, warst Du 1990 der erste Profesor Visitante an der Universidad Alcalá de Henares, auf Einladung des leider viel zu früh verstorbenen Prof. Juan González Encinar. Ich bin Dir 1993 nachgefolgt und habe wie Du eine sehr gewinnbringende Zeit in der historischen Residencia de Estudiantes verbracht, wo schon García Lorca, Buñuel und Salvador Dalí gewohnt hatten.

Heute möchte ich aber insbesondere Deine herausragenden Verdienste für den Europarat hervorheben, für den Du verschiedene wichtige Aufgaben wahrgenommen hast. In Straßburg, wo ich im November 1993 als Bediensteter des Europarats anfing, haben sich unsere Wege immer wieder gekreuzt.

Minderheitenschutz

Zunächst brachten uns Fragen des Minderheitenschutzes zusammen. Du bist im Juni 1998 Mitglied des Beratenden Ausschusses zum Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten geworden, und in der Folge auch zweimal dessen Präsident (1998-2004, 2010-2012). Ich hatte damals in der Rechtsabteilung angefangen, wo ich mich insbesondere mit Fragen des Völkervertragsrechts beschäftigt habe.

Es ging um die rechtliche Natur und Zulässigkeit von Erklärungen, die einige Mitgliedstaaten abgegeben hatten, um den Begriff der nationalen Minderheit für ihre Rechtsordnung zu definieren. Die Frage, wie eine nationale Minderheit zu definieren ist, gehört bekanntlich zu den umstrittensten Fragen im Rahmen des Minderheitenschutzes.

Das im Gefolge des 1993 abgehaltenen Wiener Gipfels ausgearbeitete und 1995 zur Zeichnung aufgelegte Rahmenübereinkommen enthält keine Definition der nationalen Minderheit. Der erläuternde Bericht erklärt, dass diese pragmatische Lösung gewählt wurde, da es nicht möglich war, eine für alle Mitgliedstaaten des Europarats akzeptable Definition zu formulieren.[1]

Der Begriff der nationalen Minderheit findet sich bekanntlich schon in Art. 14 EMRK, war aber auch in der Rechtsprechung des EGMR zumindest zum damaligen Zeitpunkt nicht näher präzisiert worden.

Bei Unterzeichnung und/oder Ratifikation hatten zahlreiche Staaten Erklärungen zum Begriff der nationalen Minderheit abgegeben, die diesen auf historische Minderheiten beschränkte, deren Angehörige die Staatsangehörigkeit des erklärenden Staates besaßen. Dies war der Fall bei den baltischen Staaten, aber auch Deutschland gab bei Unterzeichnung am 11. Mai 1995 eine Erklärung ab, wonach Minderheiten im Sinne des Rahmenübereinkommens nur Dänen deutscher Staatsangehörigkeit und die Mitglieder der sorbischen Volksgruppe mit deutscher Staatsangehörigkeit waren. Daneben sollte das Rahmenübereinkommen auch auf ethnische Gruppen, die traditionell in Deutschland lebten, die Friesen in Schleswig-Holstein und Niedersachsen und die Sinti und Roma Anwendung finden.

Die Frage stellte sich, ob solche Erklärungen als Vorbehalte im Sinne der Wiener Vertragsrechtskonvention oder als reine Interpretationserklärungen anzusehen waren und ob es Grenzen für die Zulässigkeit einer solch einseitigen Definition durch einen Vertragsstaat geben könnte.

Auf Einladung des Beratenden Ausschusses habe ich an einer seiner Sitzungen teilgenommen, auf der diese Fragen diskutiert wurden. Als juristischer Dienst des Europarats war unser Ausgangspunkt, dass das Rahmenübereinkommen keine Definition enthielt, die einseitigen Erklärungen daher nicht eine vom Vertrag ausdrücklich gewollte Regelung des Vertrages infrage stellten (vgl. die Definition des Vorbehalts in Art. 1 (d) WVRK). Das im Auftrag des Generalsekretärs als Depositar handelnde Vertragsbüro hatte die Erklärungen daher nicht als Vorbehalte eingestuft, sondern als einfache Erklärungen (declarations) notifiziert. 

Andererseits erschien es vertretbar, den ‚object and purpose test‘ des Artikels 19 (c) WVRK unabhängig davon anzuwenden, ob die Erklärungen als Vorbehalte zu qualifizieren waren oder nicht. Auf diese Weise erschien es möglich, zumindest solche Erklärungen als unzulässig anzusehen, die Angehörige real existierender nationaler Minderheiten willkürlich vom Anwendungsbereich der Konvention ausschließen wollten. Die Schwierigkeit war, allgemeinverbindliche Standards für eine derartige Willkürprüfung zu ermitteln. Gewisse Leitlinien konnten aus existierenden Texten der Vereinten Nationen, z.B. der ‚Declaration on the Rights of Persons belonging to National or Ethnic, Religious and Linguistic Minorities‘, die die Generalversammlung der Vereinten Nationen am 18. Dezember 1992 angenommen hatte, oder auch bilateralen Verträgen zum Schutz von Minderheiten abgeleitet werden. Schließlich gab es auch die Praxis des OSCE High Commissioners on National Minorities. Letzterer hatte vor dem Ministerkomitee des Europarats erklärt, er könne zwar keine abstrakte Definition des Begriffs geben, aber wenn er Angehörige einer nationalen Minderheit sehe, dann wüsste er, dass es sich um solche Personen handelt.

Eine solche pragmatische Vorgehensweise prägte auch die nachfolgende Praxis des beratenden Ausschusses. Schon in seinen ersten Berichten erkannte dieser den Vertragsparteien ein gewisses Ermessen (margin of appreciation) zu, unterstrich aber, dass dieses Ermessen in Übereinstimmung mit den allgemeinen Grundsätzen des Völkerrechts und den in Art. 3 des Rahmenübereinkommens formulierten Grundsätzen ausgeübt werden müsse.

So hat der Ausschuss insbesondere den Ausschluss der Faröer und Grönländer durch die dänische Regierung beanstandet. Er ließ das Argument nicht gelten, dass es sich hierbei um eine Urbevölkerung (indigenous people) oder sogar Völker (people) handelt, denen weitgehende Selbstverwaltung im Rahmen einer ‚home rule‘ zugestanden wurde, und die daher den Schutz der Konvention nicht benötigten. Der Ausschuss betonte, dass ‚home rule‘ Regelungen nur territorial beschränkt gelten. Ein völliger Ausschluss jeglichen Schutzes im Rest Dänemarks sei nicht mit den Grundsätzen des Rahmenübereinkommens vereinbar, ebenso wenig wie die Beschränkung des Schutzes der deutschen Minderheit allein auf Südjütland. Eine ähnliche Argumentation vertrat er auch im Falle Russlands und Norwegens (hinsichtlich der Sami).

Ich weiß nicht, welchen persönlichen Anteil Rainer Hofmann an der Entwicklung dieser Praxis des Beratenden Ausschusses hatte. Er scheint mir aber sehr gut den Ansatz des Jubilars zu verkörpern, pragmatische und gleichzeitig höchst wirksame Lösungen für komplexe juristische Sachverhalte zu entwickeln.

Das Amt des Vorsitzenden des Beratenden Ausschusses bringt es nicht nur mit sich, die Monitoringarbeit zu leiten, Besuche in den Vertragsstaaten durchzuführen und Berichte zur Lage des Minderheitenschutzes vorzulegen, sondern auch im Ministerkomitee des Europarats die konkreten Empfehlungen zur Verbesserung der Lage der Minderheiten durchzusetzen. Diese Arbeit ist nicht immer einfach und verlangt viel diplomatisches Fingerspitzengefühl. Fragen des Minderheitenschutzes sind in vielen Mitgliedstaaten des Europarats eminent politische Fragen. Prof. Rainer Hofmann hat diese Aufgabe mit Bravour gemeistert und keinen geringen Anteil daran, dass es eine nunmehr ständige Praxis des Ministerkomitees gibt, die Empfehlungsentwürfe des Beratenden Ausschusses ohne oder mit nur geringen Änderungen zu übernehmen.

Am 13. Juni 2002 zog Prof. Rainer Hofmann in seinem Bericht zum Ministerkomitee folgende Bilanz:

„The Framework Convention is today truly pan-European human rights instrument … A few years ago, some critics argued that an impressive rate of ratifications could be merely a reflection of the weakness of the standards and the monitoring mechanism of the Framework Convention. But looking back at the developments since the outset of our activities, I would argue that the monitoring mechanism has developed way beyond such small expectations. The development of the monitoring and the adoption of the first 11 resolutions of the Committee of Ministers and 19 detailed opinions of the Advisory Committee have demonstrated the value of the Convention and helped to determine the limits of the inherent flexibility of its substantive provisions. And as regards working methods, much more has been achieved than the critics of Resolution (97)10 expected. It is for noteworthy that we are to my knowledge, the first and only human rights monitoring mechanism based on state reports to have introduced country visits as a regular element of the monitoring.”

Grundrechteagentur der EU (FRA) in Wien

Neben dem Minderheitenschutz spielte Rainer Hofmann eine herausragende Rolle im Rahmen der Kooperation zwischen Europarat und der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte („Grundrechteagentur“), die am 1. März 2007 ihre Arbeit aufnahm. Ihre Aufgabe besteht gemäß Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 168/2007 darin, den relevanten Organen, Einrichtungen, Ämtern und Agenturen der Union und der Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Unionsrechts im Bereich der Grundrechte Unterstützung zu gewähren und ihnen Fachkenntnisse zur Verfügung zu stellen.

Im Vorfeld der Gründung der Agentur war es zu erheblichen Spannungen gekommen, weil insbesondere die Parlamentarische Versammlung ein Konkurrenzverhältnis zum Europarat als zentraler europäischer Menschenrechtsinstitution befürchtete.

Ich erinnere mich gut an diese Zeit, in der wir versuchten, mit den verschiedenen EU Ratspräsidentschaften Modalitäten auszuarbeiten, um eine im beiderseitigen Interesse liegende Lösung zu finden. Ein weit gefasstes Mandat für die Agentur hätte die Arbeit der bestehenden Mechanismen des Europarats dupliziert und damit das Risiko mit sich gebracht, die Rechtssicherheit in einem so wichtigen Bereich zu untergraben und letztlich den Schutz insgesamt zu schwächen. Es wäre in der Tat bedauerlich, wenn die Bewertungen der Agentur von den Bewertungen der Gremien des Europarates abweichen oder sogar im Widerspruch dazu stehen würden. Daher war es so wichtig, dass die Gründungsverordnung die Agentur verpflichtet, auf die Ergebnisse und Aktivitäten der Überwachungs- und Kontrollmechanismen des Europarates zu verweisen.  Dies ist ein wichtiger Schutz, um Kohärenz und Konsistenz bei der Anwendung von Menschenrechtsstandards in ganz Europa zu gewährleisten.

Gemäß der Gründungsverordnung ist die Agentur verpflichtet, ihre Aktivitäten mit denen des Europarats zu koordinieren, um Doppelarbeit zu vermeiden und Komplementarität und Mehrwert zu gewährleisten. Eine detailliertere Vereinbarung über die Zusammenarbeit zwischen dem Europarat und der EU-Grundrechteagentur wurde am 18. Juni 2008 abgeschlossen.

Die Gründungsverordnung sieht auch eine direkte Repräsentation des Europarats in den Organen der Grundrechteagentur vor. Neben Mitgliedstaaten und Kommission benennt der Europarat eine weitere unabhängige Persönlichkeit als Mitglied des Verwaltungs- und Exekutivrates.

Prof. Rainer Hofmann war zunächst von Juli 2012 bis Juni 2015 stellvertretendes Mitglied, dann von Juli 2015 bis Juni 2018 als Vertreter des Europarats Mitglied des Verwaltungsrats und des Exekutivrats der Grundrechteagentur. In dieser Eigenschaft trug er erheblich dazu bei, das Arbeitsprogramm der Agentur mit der Arbeit des Europarats zu koordinieren und erstattete regelmäßig im Ministerkomitee des Europarats Bericht.

Prof Rainer Hofmann hat diese Aufgabe vortrefflich wahrgenommen. Seine reiche Erfahrung in der Monitoringarbeit des Rahmenübereinkommens über den Schutz nationaler Minderheiten und seine Expertise sowohl im EU als auch im Recht des Europarats machten ihn zu einem hervorragend geeigneten Kandidaten. 

Am Ende ist aus der befürchteten Konkurrenz eine echte Synergie geworden, die es dem Europarat erlaubt, seine Menschenrechtsstandards in die Politikgestaltung der EU einfließen zu lassen. Während der Europarat die Menschenrechtsstandards vorgibt und ihre Umsetzung überwacht, liefert die Agentur objektive und zuverlässige Daten, veröffentlicht Berichte und vergleichende Studien, die wiederum nicht nur die interne Menschenrechtspolitik der EU, sondern auch die Standardsetzung und Überwachung innerhalb des Europarats beeinflussen. Handbücher zum Grundrechtsschutz in verschiedenen Bereichen, etwa zum Datenschutz, die sowohl das EU-Recht und die Rechtsprechung des EuGH, als auch die Normen des Europarats und die Rechtsprechung des EGMR zusammengefasst darstellen, sind konkrete Ergebnisse der Zusammenarbeit.

***

Insgesamt hat sich das Verhältnis von Europarat und Europäischen Union in den letzten Jahren erheblich verändert. Von einem Konkurrenzverhältnis ist man zu einer strategischen Partnerschaft übergegangen. Die Zusammenarbeit hat sich nach der Zeitenwende des letzten Jahres noch einmal intensiviert.

Nach dem Ausschluss Russlands aus dem Europarat ist es möglich geworden, die Verhandlungen über den Beitritt der EU zur EMRK zu einem vorläufigen Abschluss zu bringen. In der Gipfelerklärung von Reykjavik ‚United Around our Values‘ (17. Mai 2023) begrüßten die Staats- und Regierungschefs die vorläufige Einigung über den überarbeiteten Entwurf der Beitrittsinstrumente als eine wichtige Errungenschaft.

Ich bin überzeugt, dass nur der Beitritt der Union zur EMRK die notwendige Kohärenz der Menschenrechtsstandards in ganz Europa gewährleisten kann. Der Beitritt ist das ideale Instrument, um eine harmonische Entwicklung der Rechtsprechung der europäischen Gerichte in Menschenrechtsfragen zu gewährleisten. Der Beitritt wird ein starkes politisches Signal für die Kohärenz zwischen der Union und dem „größeren Europa“ sein, das sich im Europarat und seinem gesamteuropäischen Menschenrechtssystem widerspiegelt.

Rainer Hofmann hat wie kaum ein anderer zur Zusammenarbeit der europäischen Institutionen für Menschen- und Minderheitenrechte beigetragen und wird dies hoffentlich auch weiterhin tun.

Ich wünsche Dir lieber Rainer von ganzem Herzen viel Freude, Kraft und Gesundheit für das weitere Leben.

 

[1] Absatz 12 des Explanatory Reports.

* Die in diesem Beitrag geäußerten Ansichten sind die des Verfassers und spiegeln nicht die offizielle Position des Europarates wider.

Goethe University - Westend Campus, Frankfurt 30 June 2023
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