(Es gilt das gesprochene Wort)
Rede von René van der LINDEN, Präsident der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
Warschau, 17. Mai 2005
Sehr geehrter Präsident, sehr geehrte Exzellenzen,
ich möchte Ihnen noch einmal für die einwandfreie Organisation des Gipfels danken.
Warum haben wir uns hier in Warschau versammelt?
Weil der Europarat in der institutionellen Landschaft Europas eine wesentliche Rolle spielen muss. Er ist die einzige paneuropäische Organisation. Und er wird auch auf lange Sicht die einzige paneuropäische Organisation bleiben. Außerdem macht er eine ausgezeichnete Arbeit – was viele von Ihnen gestern und heute immer wieder betont haben.
Die schrecklichen Ereignisse in Usbekistan führen uns vor Augen was passiert, wenn unsere Werte nicht respektiert werden. Wir sollten alles in unserer Macht Stehende tun, um zu einer friedlichen Lösung beizutragen. Europa sollte daraus eine Lehre ziehen, um in Zukunft solche Krisen von vornherein vermeiden zu können.
Als der Europarat 1949 gegründet wurde, waren viele gegen die Schaffung einer Parlamentarischen Versammlung. Aus heutiger Sicht ist klar, dass die Schaffung der Versammlung für den Erfolg des Europarates ausschlaggebend war.
Wenn die Versammlung zusätzliche Kompetenz erhält, macht sich dies immer bezahlt; die europäische Idee wird vorangetrieben und den Bürgern besser vermittelt. Die Mitglieder der Versammlung haben ein doppeltes Mandat: ein europäisches und ein nationales. Dadurch können wir nicht nur die nationalen Parlamente an Europa heranführen, sondern auch Europa in die nationalen Parlamente und somit zu den Bürgern bringen - zu ihren Ansichten, Hoffnungen, Ideen und Kritikpunkten. Leider sehen heute viele unserer Bürger in der institutionellen Landschaft Europas eher eine Gebäudelandschaft für Bürokraten als eine Wirkungsstätte zugunsten aller Bürger.
Wir müssen Europa wieder näher zu den Bürgern bringen. Das Subsidiaritätsprinzip muss auch innerhalb internationaler Institutionen gewahrt bleiben, um Überschneidungen der Tätigkeitsfelder und Verschwendung von Geldern zu vermeiden. Entscheidungen müssen von der Institution getroffen werden, die im jeweiligen Bereich die meisten Kenntnisse und Erfahrungen hat.
Der Europarat verfügt über einzigartige und bewährte Mechanismen und Instrumente für den Schutz der Menschenrechte. Sie sollten keinesfalls untergraben werden.
Die innerhalb der Europäischen Union erst kürzlich ergriffen Initiativen, insbesondere die Initiative zur Schaffung einer EU-Agentur für Grundrechte, werden, sofern sie weiterverfolgt werden, eine unnötige Überschneidung der Tätigkeitsfelder zur Folge haben und in Europa zu neuen Trennlinien führen.
EU-Kommissarin Ferrero-Waldner hat heute Morgen die ausgezeichnete Arbeit des Europarates gewürdigt und die Absicht der Kommission erklärt, unsere Instrumente und Mechanismen im Bereich der Nachbarschaftspolitik voll und ganz zu nutzen.
Die Versammlung wird schon bald konkrete Vorschläge machen, wie diese Absicht in die Tat umgesetzt werden kann.
Die Mandate der Europäischen Union, der OSZE und des Europarates müssen genau definiert werden. Jeder dieser Einrichtungen fällt eine besondere Rolle zu.
Durch Ihre auf diesem Gipfel getroffenen Entscheidungen wird das politische Mandat des Europarates genau definiert.
Ich möchte Sie eindringlich dazu auffordern, sich dieser Entscheidungen bewusst zu sein, wenn Sie Ihren Vertretern bei unseren Partnerorganisationen, vor allem bei der Europäischen Union und der OSZE, Weisungen erteilen.
Für mich ist eine gute Zusammenarbeit mit der Europäischen Union von wesentlicher Bedeutung. Ich möchte Premierminister Juncker dafür danken, dass er zugestimmt hat, einen politischen Bericht über die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und dem Europarat vorzubereiten.
Ich bin mir sicher, dass er die richtigen Antworten findet. Er kann mit einem Beitrag der Versammlung und unserer großen politischen Unterstützung rechnen.
Die Parlamentarischen Versammlungen müssen in die Debatten über die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und dem Europarat ganz selbstverständlich mit einbezogen werden. Die Parlamentarische Versammlung, wie auch das Europäische Parlament, sollten bei den Vierertreffen zwischen der Europäischen Union und dem Europarat vollwertige Teilnehmer sein. Ich rechne mit Ihrer Unterstützung, um dies möglich zu machen.
Die parlamentarische Diplomatie wurde in den europäischen Beziehungen ein nicht zu ersetzendes Instrument. Sie ist eine der Stärken unserer Versammlung. Darüber hinaus wurde unsere Versammlung für Europas führende Politiker eine Schule der Demokratie.
Sie sollte regelmäßiger vom Ministerkomitee konsultiert und in größerem Maße in die Vorbereitung von Konventionen mit einbezogen werden. Die Versammlung muss bei Budgetfragen ein größeres Mitspracherecht erhalten, wie dies internationale Versammlungen im Allgemeinen haben.
Sie sollte auch mehr Rechte bei der Kontrolle der Ausgaben der Organisation haben. So kann sie zu einer besseren Verwendung unserer finanziellen Mittel und zur Stärkung unserer Arbeit beitragen. Wir sitzen schließlich alle im selben Boot.
Und wir können zudem, wenn wir die Budgetforderungen unserer Organisation vor den nationalen Parlamenten verteidigen, überzeugender sein.
Ich möchte enger mit dem Ministerkomitee zusammenarbeiten und fordere Sie auf, dies zu ermöglichen.
Zusammengefasst brauchen wir:
Erstens eine verstärkte Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen, vor allem mit der Europäischen Union. Der Bericht von Premierminister Juncker wird sicher die notwendige Anleitung dazu enthalten;
Zweitens eine stärkere Parlamentarische Versammlung;
Drittens eine wirksamere Zusammenarbeit mit dem Ministerkomitee.
Ich zähle auf Ihre Unterstützung.