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Warschauer Erklärung
Wir, die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten des Europarates sind am 16. und 17. Mai 2005 in Warschau zu unserem Dritten Gipfel zusammengekommen und wurden Zeugen einer nie da gewesenen paneuropäischen Einheit. Künftige Anstrengungen bei der Schaffung eines Europas ohne Trennlinien müssen auch weiterhin auf den in der Satzung des Europarates festgelegten, gemeinsamen Werten – Demokratie, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit – basieren.
Seit den Gipfeln in Wien (1993) und Straßburg (1997) ist der Europarat immer weiter gewachsen und umfasst mittlerweile fast den gesamten Kontinent. Um dies zu erreichen, haben die Parlamentarische Versammlung und der Kongress der Gemeinden und Regionen einen unschätzbaren Beitrag geleistet, den wir an dieser Stelle besonders hervorheben möchten. Schon jetzt freuen wir uns auf den Tag, an dem Weißrussland bereit ist, dem Europarat beizutreten.
60 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges, 30 Jahre nach der Helsinki-Schlussakte, 25 Jahre nach der Solidaritätsbewegung und 15 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer, möchten wir all denjenigen Tribut zollen, die es möglich gemacht haben, die schmerzlichen Teilungen zu überwinden und die demokratische Sicherheit in so vielen Ländern zu verbreiten. Heute ist die politische Haltung Europas nicht mehr länger durch Ausgrenzung gekennzeichnet; Europa zeichnet sich heute durch ein bestmögliches Ergänzen seiner Institutionen aus und durch eine gemeinsame Verpflichtung zu multilateralem Handeln in Einklang mit dem Völkerrecht.
Jedoch beunruhigen uns immer noch ungelöste Konflikte in einigen Teilen des Kontinents, die die Sicherheit, Einheit und demokratische Stabilität in Gefahr bringen und für die jeweilige Bevölkerung eine Bedrohung darstellen. Wir müssen zusammenarbeiten, um in Einklang mit den Normen und Prinzipien des Völkerrechts Versöhnung zu ermöglichen und politische Lösungen herbeizuführen.
Dieser Gipfel gibt uns die Gelegenheit uns erneut den gemeinsamen Werten zu verpflichten, die auf Europas kulturelles, religiöses und humanistisches Erbe zurückgehen – ein gemeinsames und doch vielfältiges Erbe. Er wird außerdem das politische Mandat des Europarates stärken und so gewährleisten, dass der Europarat einen noch größeren Beitrag zur gemeinsamen Stabilität und Sicherheit in Europa leisten kann. Das ist besonders wichtig, da Europa gegenwärtig mit neuen Herausforderungen und Bedrohungen konfrontiert ist, denen man ausschließlich durch gemeinsames, wirksames Handeln begegnen kann.
Durch eine verstärkte Zusammenarbeit und Solidarität zwischen unseren Mitgliedsstaaten, können wir uns diesen Herausforderungen stellen und weiterhin für ein geeintes Europa – Symbol unserer gemeinsamen Werte und Interessen – arbeiten. Wir sind aber auch stets zur Zusammenarbeit mit den Nachbarregionen Europas und mit dem Rest der Welt offen.
1. Der Europarat wird seine Hauptziele, den Schutz der Menschenrechte und die Förderung der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, weiterhin verfolgen. All seine Aktivitäten müssen dem Erreichen dieses Ziels dienen. Wir verpflichten uns, diese Prinzipien weiterzuentwickeln und dafür zu arbeiten, dass sie von allen Mitgliedsstaaten umgesetzt werden. Wenn wir diese Werte verbreiten, stärken wir die Rolle des Europarates als wirksamer Motor der paneuropäischen Zusammenarbeit auf allen wichtigen Gebieten. Wir sind auch dazu entschlossen, die Aktivitäten, Strukturen und Arbeitsmethoden des Europarates noch mehr zu stärken und zu bündeln und eine größere Transparenz und Wirksamkeit zu schaffen und auf diese Weise zu gewährleisten, dass der Europarat in einem sich verändernden Europa die Rolle einnimmt, die ihm zusteht.
2. In Anbetracht der unschätzbaren Rolle der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bei der Festsetzung, Förderung und Umsetzung der Standards für Menschenrechte, ist es von wesentlicher Bedeutung, die Wirksamkeit der Konvention und des Gerichtshofs zu gewährleisten. Deswegen verpflichten wir uns, die auf der 114. Sitzung des Ministerkomitees verabschiedeten, umfassenden Maßnahmen, die der wachsenden Arbeitslast des Gerichtshofs entgegenwirken sollen, so schnell wie möglich umzusetzen und die zügige Ratifizierung und die damit verbundene Umsetzung des Protokolls Nr. 14 zur Konvention voranzutreiben. Des Weiteren setzen wir eine Gruppe der Weisen ein, die unter Miteinbeziehung der ersten Ergebnisse des Protokolls Nr. 14 und der anderen im Mai 2004 getroffenen Entscheidungen, eine umfassende Strategie erarbeiten soll, die die langfristige Wirksamkeit des Systems gewährleistet.
3. Wir sind überzeugt, dass für die Verhütung von Konflikten, für die Förderung der Stabilität, für die Begünstigung des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts und somit für die Schaffung von beständigen Gemeinschaften, in denen die Menschen jetzt und künftig leben und arbeiten wollen, eine wirksame Demokratie und ein gutes Regieren von wesentlicher Bedeutung sind. Das kann aber nur durch die aktive Teilnahme der Bürger und der Zivilgesellschaft erreicht werden. Die Mitgliedsstaaten müssen deswegen wirksame, transparente und demokratisch verantwortliche Institutionen schaffen und erhalten, die den Bedürfnissen und Erwartungen aller gerecht werden. Es ist an der Zeit unsere auf dieses Ziel gerichtete Arbeit innerhalb des Europarates zu intensivieren, insbesondere durch die Schaffung des Forums über die Zukunft der Demokratie.
4. Wir verpflichten uns, die Rechtsstaatlichkeit auf dem gesamten Kontinent zu stärken. Wir können uns dabei die Erfahrung des Europarates bei der Festsetzung von Standards zunutze machen und von seinem Beitrag zur Weiterentwicklung des Völkerrechts profitieren. In diesem Zusammenhang möchten wir die Rolle einer unabhängigen und wirksamen Gerichtsbarkeit in den Mitgliedsländern hervorheben. Wir werden die rechtliche Zusammenarbeit innerhalb des Europarates weiter vorantreiben, um unsere Bürger besser zu schützen, und um auf kontinentaler Ebene die in der Satzung festgelegten Ziele zu erreichen.
5. Wir sind entschlossen unsere beim Europarat eingegangenen Verpflichtungen voll und ganz zu erfüllen. Dies werden wir mit Hilfe des politischen Dialogs – wir möchten noch einmal bekräftigen, dass wir diesen unterstützen – zwischen den Mitgliedsstaaten erreichen, die sich alle verpflichtet haben, die demokratische Debatte, die Rechtsstaatlichkeit, die Entwicklung, den Austausch von guten Praktiken, die gegenseitige Unterstützung und das Monitoring zu fördern. Wir werden dafür arbeiten, dass so viele Länder wie möglich den Konventionen des Europarates beitreten und die Umsetzung dieser Konventionen fördern, um die gemeinsamen Werte im Bereich der Menschenrechte, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit zu stärken.
6. Wir werden die europäische Identität und Einheit, deren Basis die gemeinsamen Grundwerte und die Wahrung des gemeinsamen Erbes und der kulturellen Vielfalt bilden, weiterhin vorantreiben. Durch Förderung des politischen, interkulturellen und interreligiösen Dialogs werden wir gewährleisten, dass unsere Vielfalt zur Quelle der gegenseitigen Bereicherung wird. Wir werden uns weiterhin für nationale Minderheiten einsetzen und so zur demokratischen Stabilität beitragen. Um das gegenseitige Verständnis und Vertrauen unter den Europäern zu stärken, werden wir im Rahmen der Freizügigkeit der Personen auf dem Kontinent zwischenmenschliche Kontakte und den Austausch guter Praktiken fördern. Unser großes Ziel dabei ist, ein Europa ohne Trennlinien zu schaffen.
7. Wir werden solidarische Gesellschaften aufbauen, indem wir allen Bürgern die Inanspruchnahme derselben sozialen Rechte ermöglichen, Ausgrenzung bekämpfen und sozial benachteiligte Gruppen schützen. In diesem Zusammenhang erkennen wir die Bedeutung der europäischen Sozialcharta an und befürworten ihren Einfluss auf die Gestaltung unserer Sozialpolitik. Wir sind entschlossen, im sozialen und kulturellen sowie im Bildungs- und Gesundheitsbereich die Kohäsion unserer Gesellschaften zu stärken.
8. Wir sind des Weiteren entschlossen, unter Wahrung der Menschenrechte und Grundfreiheiten und unter Berücksichtigung unserer jeweiligen internationalen Verpflichtungen, die Sicherheit unserer Bürger zu gewährleisten. Der Europarat wird auch weiterhin bei der Bekämpfung des Terrorismus eine aktive Rolle spielen, da der Terrorismus eine große Bedrohung für unsere demokratischen Gesellschaften darstellt und weder durch irgendwelche Umstände noch durch eine Kultur zu rechtfertigen ist. Er wird auch sämtliche Anstrengungen unternehmen, um Korruption, organisiertes Verbrechen – einschließlich Geldwäsche und Verbrechen im Finanzbereich – Menschenhandel und Datennetzkriminalität zu bekämpfen, und um die durch den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt entstandenen, neuen Herausforderungen zu bewältigen. Wir werden im Einklang mit unseren Werten Maßnahmen ergreifen, um gegen diesen Bedrohungen vorzugehen.
9. Wir verurteilen alle Formen der Intoleranz und Diskriminierung. Wir verurteilen dabei insbesondere Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der Rasse und der Religion, vor allem wenn sich letztere auf Antisemitismus oder auf die Angst vor dem Islam gründet. Wir sind entschlossen, innerhalb des Europarates Regeln und einen wirksamen Mechanismus zu schaffen, um diese Formen der Intoleranz und Diskriminierung zu verhindern und endgültig auszulöschen. Wir werden auch weiterhin Maßnahmen zur Schaffung von Chancengleichheit in unseren Mitgliedsstaaten durchführen und unsere Anstrengungen intensivieren, um eine wirkliche Gleichstellung von Mann und Frau in allen Bereichen unserer Gesellschaften herzustellen. Wir verpflichten uns, Gewalt gegen Frauen und Kinder, auch häusliche Gewalt, zu bekämpfen.
10. Wir werden gewährleisten, dass sich der Europarat und die anderen Organisationen, die an der Schaffung eines demokratischen und sicheren Europas beteiligt sind, bestmöglich ergänzen:
- Wir werden einen neuen Rahmen für eine stärkere Zusammenarbeit und einen besseren Austausch zwischen dem Europarat und der Europäischen Union schaffen, vor allem in den Bereichen, in denen beide Organisationen gleichermaßen aktiv sind, wie beim Schutz der Menschenrechte, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit.
Wir beauftragen unseren Kollegen, Jean-Claude Juncker, persönlich, auf Grundlage der auf dem Gipfel getroffenen Entscheidungen und unter Berücksichtigung der menschlichen Dimension beim Aufbauwerk Europa, einen Bericht über die Beziehungen zwischen dem Europarat und der Europäischen Union zu verfassen.
- Wir sind entschlossen, eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen dem Europarat und der OSZE zu gewährleisten und begrüßen die größere Synergie, die in der auf dem Gipfel unterstützten, gemeinsamen Erklärung befürwortet wird.
- Wir verpflichten uns, die Zusammenarbeit zwischen dem Europarat und den Vereinten Nationen zu stärken und uns für die Erreichung der Entwicklungsziele des Jahrtausends auf unserem Kontinent einzusetzen.
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Um unsere Organisation auf diesen neuen Kurs zu bringen, verabschieden wir den beigefügten Aktionsplan.
Wir verpflichten unsere Staaten, die in den Entscheidungen des Gipfels enthaltenen Aufgaben und Ziele zu fördern, sowohl innerhalb des Europarates als auch innerhalb anderer internationaler Foren und Organisationen, deren Mitglieder wir sind.
Da dieser Gipfel in Polen stattfindet, möchten wir an dieser Stelle Papst Johannes Paul II. gedenken.
Wir rufen alle Europäer auf, wo auch immer sie sich befinden, sich zu den Werten, die das Herzstück der Europaratsmission bilden, – Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit –zu bekennen, sich uns anzuschließen und Europa zu einer kreativen Gemeinschaft zu machen, die wissbegierig ist und offen für vielfältige Kulturen, es zu einer wahren Zivil- und Solidaritätsgemeinschaft zu machen.