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Interview mit Hervé Ladsous, Sprecher des französischen Außenministers Michel Barnier

15.02.2005

Frage: Welche Bedeutung hat der Dritte Gipfel beim Aufbau Europas?

Hervé Ladsous: Auf dem Dritten Gipfel des Europarates muss Europa einstimmig seine Verpflichtung gegenüber den Grundwerten Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit deutlich machen. Es muss der Welt, in der zum Teil die Gewalt vorherrscht, ein klares Zeichen geben.

Der Dritte Gipfel wird auch Bilanz ziehen. Der Europarat, seit über 50 Jahren der Garant für den demokratischen Fortschritt in der Welt, hat die Zahl seiner Mitglieder erfolgreich erweitert, so dass er jetzt den gesamten Kontinent umfasst (außer Weißrussland). Jetzt muss die Konsolidierung beginnen, indem er sich auf die Bereiche konzentriert, die ihn auszeichnen: Menschenrechte, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit. Der Gipfel muss die Rolle des europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte stärken und sicherstellen, dass er innerhalb einer angemessen Zeit auf die Flut der Beschwerden reagieren kann. Der Europarat muss sich neuen Herausforderungen stellen, wie etwa dem Terrorismus, Datennetzkriminalität und dem Wiederaufflammen von Rassismus und Antisemitismus.

Schließlich ist es logisch, dass der Europarat den Blick auch nach außen richtet und seine Zusammenarbeit mit der Europäischen Union, der OSZE und den Vereinten Nationen weiter entwickelt. Er muss eine größere Rolle als Forum für die Öffnung zur Zivilgesellschaft, den NGOs und politischen Stiftungen, spielen. Er muss die Haltung gewählter Vertreter und Eliten prägen.

Der Europarat ist der Grundpfeiler im Aufbauwerk Europa. Indem er sich auf seine Fachgebiete konzentriert, kann er die aktuelle europäische Architektur stärken. Der Gipfel ist eine Gelegenheit, dies zu vermitteln.

Frage: Wie sieht Ihrer Meinung nach die Zuständigkeit der verschiedenen europäischen Organisationen in der Praxis aus?

Hervé Ladsous: Jede Organisation geht von einem anderen Konzept, anderen Methoden und einer anderen Geometrie aus. Die OSZE hat 55 Mitgliedsstaaten, der Europarat 46, die Europäische Union 25. Sie haben gemeinsam, dass sie sich für den Schutz der Menschenrechte und der Demokratie einsetzen. Der Europarat muss auf seine berechtigte Rolle als normgebendes Organ in diesem Bereich (einschließlich der Durchsetzung der Konvention und der Urteile des Menschenrechtsgerichtshofs) aufbauen. Der Europarat muss Synergien mit der OSZE schaffen, vor allem im Bereich der „menschliche Dimension“, bei der Bekämpfung von Menschenhandel, dem Aktionsplan für Sinti und Roma sowie den Maßnahmen gegen Rassismus und Antisemitismus. Mit der Europäischen Union muss der Europarat Kooperationsprojekte entwickeln, insbesondere in den Bereichen Justiz, innere Angelegenheiten und europäische Nachbarschaftspolitik.

Frage. Welches Mandat sollte die Grundrechteagentur der Europäischen Union Ihrer Meinung nach haben? Besteht nicht die Gefahr, dass es Überschneidungen mit der Arbeit des Europarates gibt?

Hervé Ladsous: Am 13. Dezember 2003 haben die Vertreter der Mitgliedsstaaten der EU bei einem Treffen auf Ebene der Staats- und Regierungschefs den Wunsch geäußert, den Auftrag der 1997 auf der Grundlage einer EG-Verordnung eingerichteten Europäischen Stelle für die Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit mit Sitz in Wien auszudehnen, um sie in eine Agentur für Grundrechte umzuwandeln. Die Kommission wird 2005 einen Vorschlag für eine diesbezügliche Verordnung machen. Der Europarat war an den Konsultationen der Kommission weitestgehend beteiligt.

Die Kompetenzen der Agentur werden auf den Konsultationen basieren, die auf einen Konsens alle Mitgliedsstaaten der EU beruhen. Wir verstehen die Sorge des Europarates, dass die Tätigkeit der Agentur sich mit der des Europarates decken könnte.

In diesem Zusammenhang sind wir der Ansicht, dass bei jeder Erweiterung der Zuständigkeit der Agentur, die Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit Priorität bleiben muss. Die Agentur sollte sich außerdem auf die Überwachung der Situation der Menschenrechte in den Mitgliedsstaaten, nicht in Drittländern, konzentrieren. Schließlich darf es auch keine Überschneidungen der Agentur mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geben oder mit den Monitoring-Organen der Konventionen im Bereich der Menschenrechte, insbesondre der ECRI (Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz).