C.N. und V. gegen Frankreich  |2012

Gerechtigkeit für eine Waise, deren Tante und Onkel sie als Dienstmädchen hielten

Es ist jetzt in Ordnung. Ich habe eine Arbeit, einen Ehemann, zwei Kinder, ein Haus… Ich bin 34 Jahre alt, ich fange zu leben an.

C. N., zitiert auf Le Monde

Hintergrund

Zwei Schwestern, C. N. und V., wurden zu Waisen, als ihre Eltern in den frühen 1990er-Jahren während des Bürgerkriegs in Burundi getötet wurden. Ihre Familie beschloss, dass die Mädchen bei ihrem Onkel und ihrer Tante, Herrn und Frau M., in der Nähe von Paris leben sollten.

Als die Schwestern in Frankreich ankamen, brachten Herr und Frau M. sie in einem kalten Keller unter und ließen sie ohne Bezahlung und freie Zeit Hausarbeit verrichten. Das jüngere Mädchen, V., ging zur Schule, doch ihre Tante weigerte sich, ihr Mittagessen oder den Busfahrpreis zu bezahlen.

Sozialdienste wurden auf die Situation aufmerksam gemacht und im Jahr 1995 wurde der Polizei gemeldet, dass die Mädchen möglicherweise ausgebeutet werden. Aus dem Bericht ergab sich nichts.

Einige Jahre vergingen, bis die Staatsanwaltschaft eine strafrechtliche Ermittlung einleitete, nachdem eine Kinderrechtsorganisation eine Beschwerde eingereicht hatte.

Im Jahr 2007 befand ein französisches Gericht Herrn und Frau M. für schuldig, die Verwundbarkeit von C. N. und V. ausgenutzt zu haben, indem sie sie in ärmlichen Verhältnissen leben und arbeiten ließen. Frau M. wurde außerdem wegen tätlicher Angriffe auf V. verurteilt.

Nach der Berufung des Paars sprach ein höheres Gericht sie allerdings von der ersten Anklage frei und bestätigte nur die Anklage wegen tätlicher Angriffe gegen Frau M.

Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte

Der Europäische Gerichtshof stellte fest, dass insbesondere C. N., die ältere der beiden Mädchen, unter Verstoß gegen ihre Menschenrechte als Dienstmädchen gehalten wurde und Zwangsarbeit leisten musste. Bei V. seien die Umstände anders gewesen und kämen nicht Sklaverei und Zwangsarbeit gleich.

Das französische Recht habe damals C. N. nicht angemessen vor Ausbeutung geschützt. Der Europäische Gerichtshof stützte sich auf seine Feststellungen in einem Urteil gegen Frankreich von 2005 im Fall Henriette Siliadin, die in den 90er-Jahren ebenfalls ein ausländisches Opfer von Zwangsarbeit war.

Der Gerichtshof verurteilte Frankreich zur Zahlung von € 30.000 Schadenersatz an C. N.

...der Gerichtshof ist der Auffassung, dass [C. N.] gezwungen wurde, so hart zu arbeiten, dass Herr und Frau M. ohne ihre Hilfe ein professionelles Hausmädchen einstellen und bezahlen hätten müssen.

Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, Oktober 2012

Folgemaßnahmen

Henriette Siliadins Fall hatte Frankreich bereits dazu veranlasst, den Rechtsschutz für Opfer von Sklaverei, Zwangsarbeit und Menschenhandel zu verbessern.

Doch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs in C. N.s und V.s Fall regte die französischen Behörden teilweise dazu an, noch weiter zu gehen. Im Jahr 2013 wurde ein neues Gesetz eingeführt, durch welches das Strafgesetzbuch geändert wurde, um Menschenhandel besser zu definieren und zu bekämpfen.

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