M.C. und andere gegen Italien | 2013

Gerechte Entschädigung für Opfer von Skandal mit verseuchtem Blut

Angelo Magrini, Vorsitzender einer Opfervereinigung, erklärte, dass [das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte] ein‚ wichtiger Sieg‘ sei, da schätzungsweise rund 60.000 Menschen in Italien durch Bluttransfusionen infiziert wurden.

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Hintergrund

Im Jahr 1992 erließ Italien ein Gesetz, um Personen zu entschädigen, die sich aufgrund von Transfusionen mit verseuchtem Blut mit einem Virus, darunter HIV und Hepatitis, infiziert haben. Die Entschädigung setzte sich aus einem festen Betrag und einer regelmäßigen Zahlung zusammen.

Bei vielen Opfern trug die monatliche Zahlung zur Deckung der Kosten für die Behandlung schwerwiegender Gesundheitsprobleme bei, die durch ihre Situation verursacht wurden.

Allerdings wurden diese Beträge durch eine komplexe juristische Debatte darüber, ob die Entschädigung an die Inflation angepasst werden sollte, infrage gestellt.

Im Jahr 2010 beendete die Regierung die inflationsbereinigte Entschädigung, nachdem Tausende Opfer versuchten, diese zu beantragen.

Doch Italiens Verfassungsgericht erklärte, dass das neue Gesetz ungerecht sei, da es Opfer von Transfusionen mit verseuchtem Blut anders behandelte, als jene, die durch den Arzneistoff Thalidomid geschädigt wurden und die ein anerkanntes Recht auf eine inflationsbereinigte Entschädigung haben.

Die Behörden reagierten nicht auf das Urteil. Opfer, die zuvor Anspruch auf eine jährliche Anpassung hatten, verloren infolgedessen entweder ihre angepassten Zahlungen – die bei einigen Personen rund € 200 pro Monat betrugen – oder stellten fest, dass Gerichtsentscheidungen in ihren Fällen faktisch ignoriert wurden. Andere, die auf Entscheidungen warteten, erfuhren, dass ihre Anträge plötzlich abgewiesen oder abgelehnt wurden.

162 Personen – Opfer oder ihre Angehörigen – wandten sich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, um Gerechtigkeit zu erlangen.

 

Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte

Der Europäische Gerichtshof urteilte, dass Italien gegen die Menschenrechte der Opfer verstieß, darunter ihr Recht auf ein faires Verfahren, ihr Recht auf Eigentum und ihr Recht auf Nichtdiskriminierung.

Der Gerichtshof maß der medizinischen Expertise, laut der die Entschädigung in direktem Zusammenhang mit den Überlebens- und Genesungschancen der Opfer stand, besondere Bedeutung bei.

Da möglicherweise noch sehr viel mehr Menschen in Italien dasselbe Problem haben, wandte der Europäische Gerichtshof sein „Piloturteil“-Verfahren an, das eine Möglichkeit zum Umgang mit weitverbreiteten Problemen ist.

Der Gerichtshof verlangte, dass die italienische Regierung innerhalb von sechs Monaten nach dem Urteil Maßnahmen zum Schutz der Rechte der Opfer ergreift und rückwirkende, inflationsbereinigte Zahlungen an die Betroffenen tätigt.

Der Gerichtshof verlangte, dass die italienische Regierung innerhalb von sechs Monaten nach dem Urteil Maßnahmen zum Schutz der Rechte der Opfer ergreift und rückwirkende, inflationsbereinigte Zahlungen an die Betroffenen tätigt…

Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, September 2013

Folgemaßnahmen

Als Reaktion auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs nahmen die italienischen Behörden auf zentraler und regionaler Ebene rückwirkende Zahlungen an die Opfer oder ihre Erben vor, die sich auf Hunderte Millionen Euro belaufen.

Italien stellte zudem sicher, dass die laufenden Zahlungen an die Inflation angepasst wurden.

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