Zurück Finnland – Überweisung von Bürgerinitiativen an das Parlament (2012)

Finnland – Überweisung von Bürgerinitiativen an das Parlament (2012)

Hintergrund, Initiator und Teilnehmende

Seit März 2012 erlaubt es die finnische Verfassung, dem Parlament Bürgerinitiativen zu unterbreiten, sofern diese mehr als 50 000 Unterschriften auf sich vereinen können. Auf die formellen Bedingungen und Modalitäten wird im Bürgerinitiativrecht (12/2012) eingegangen. Im Hinblick auf die Erleichterung von Bürgerinitiativen, die in einer breiten Öffentlichkeit Gehör finden können, hat das Justizministerium ein Internetportal ins Leben gerufen (www.kansalaisaloite.fi).

Bürgerinitiativen erfreuen sich in Finnland grosser Beliebtheit. Innerhalb von sechs Jahren hat man sich mit mehr als 1000 Initiativen befasst und bei 37 ist es gelungen, die notwendige Anzahl Unterschriften von 50 000 zu sammeln. Eine Initiative (zur Gleichstellung aller Paare im Eherecht) führte zu direkten Gesetzesänderungen, und andere hatten indirekte Auswirkungen auf die Gesetzgebung.

Von den Initiativen, die das Minimum von 50 000 Unterschriften erreichten, ging es bei mindestens sechs um bioethische Fragen. Es gab aber noch mehrere weitere Initiativen zu diesem Thema, die allerdings die erforderliche Anzahl Unterschriften nicht auf sich vereinen konnten. Insgesamt lässt sich sagen, dass bioethische Fragen bei den Bürgerinitiativen in Finnland gut vertreten sind.

Die bekannteste Bürgerinitiative betraf das Thema Sterbehilfe und assistierten Suizid (mehr als 63 000 Unterschriften). Das Parlament lehnte das Sterbehilfegesetz zwar ab, forderte die Regierung jedoch auf, eine Arbeitsgruppe einzusetzen, die sich mit den entsprechenden Fragen beschäftigt und gegebenenfalls einen neuen Gesetzesentwurf vorlegt.

Die Initiative zur Gleichstellung aller Paare im Eherecht (mehr als 166 00 Unterschriften) führte zu einem neuen Gesetz, unter dem verheiratete homosexuelle Paare dieselben Rechte wie heterosexuelle Paare geniessen. Eine weitere Initiative (mit über 55 000 Unterschriften) führte zu einem neuen Mutterschaftsgesetz, das beiden Partnerinnen innerhalb einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft im Rahmen eines klar definierten Verfahrens dasselbe Recht auf legale Elternschaft zugesteht. Darüber hinaus ermöglicht es die Definition von Mutterschaft nun auch einem transsexuellen Mann, als Mutter anerkannt zu werden und im Zusammenhang mit der Geburt eines Kindes Zugang zu Sozialleistungen zu erhalten.


Vorgehen

Vorschlag zum Erlass oder zur Ausarbeitung eines neuen Gesetzes – Eine Bürgerinitiative kann den Erlass oder die Ausarbeitung eines neuen Gesetzes oder auch die Änderung oder Aufhebung eines bestehenden Gesetzes vorschlagen. Initiativen in Form eines Gesetzesvorschlages müssen den vorgeschlagenen Gesetzestext enthalten. Jede Initiative muss sich auf ein bestimmtes Thema beschränken und ist ordnungsgemäss zu begründen.

Sammelfrist für Unterschriften – Für das Zustandekommen der Initiative braucht es innerhalb einer Frist von sechs Monaten die notwendige Anzahl Unterschriften. Die Unterschriften können sowohl auf Papier als auch online (zum Beispiel via https://www.kansalaisaloite.fi) gesammelt werden. Wurden genügend Unterschriften zusammengetragen, wird die Initiative an das Zentrale Bevölkerungsregister gesandt, das die Namen prüft und die Anzahl gültiger Unterschriften bestätigt.

Prüfung durch das Parlament – Sobald das Zentrale Bevölkerungsregister die Namen geprüft und bestätigt hat, dass mindestens 50 000 gültige Unterschriften gesammelt wurden, kann ein Sprecher der Initiative diese dem Parlament zur Prüfung vorlegen. Die Initiative wird hinfällig, wenn sie nicht innerhalb von sechs Monaten nach Bekanntgabe der Entscheidung des Zentralen Bevölkerungsregisters dem Parlament unterbreitet wird.

Das Parlament ist verpflichtet, sich mit den Bürgerinitiativen zu befassen. Deren Annahme – mit oder ohne Änderung – liegt jedoch in seinem alleinigen Ermessen. Wird eine Initiative vom Parlament zurückgewiesen, kann eine neue Initiative zum gleichen Thema angeregt werden.


Nennenswerte Aspekte und gewonnene Erkenntnisse

Die Bürgerinitiative stellt heute in Finnland die bedeutendste demokratische Innovation auf nationaler Ebene dar. Gemäss einem Bericht aus dem Jahr 2016 über die demokratischen Innovationen (Englisch ab Seite 4) haben rund ein Drittel der stimmberechtigten Bürgerinnen und Bürger mindestens eine Initiative unterzeichnet. Es scheint, als mobilisiere die Bürgerinitiative bestimmte soziodemografische Gruppen, die sich ansonsten eher politisch passiv verhalten. Dazu zählen insbesondere jüngere Bürgerinnen und Bürger.

Die Bürgerinitiative ist ein wirksames Mittel zur Förderung und Unterstützung zivilgesellschaftlicher Aktivitäten und öffentlicher Diskussionen und somit zur Stärkung der Zivilgesellschaft. Websites bieten eine Plattform, über die ein breiteres Publikum erreicht und gleichzeitig Ideen auf der politischen Bühne eingebracht werden können. Sie tragen zu einer grösseren Sichtbarkeit der öffentlichen Meinung dar.

Auf vorgängig genannter Website werden mehrere Initiativen zu bioethischen Themen vorgestellt. Am bekanntesten ist die Bürgerinitiative zur Sterbehilfe, die in einer Untersuchung mündete. Sie wird zweifelsohne zu einem besseren Verständnis der verschiedenen Optionen und möglicherweise zu einem Gesetzesänderungsvorschlag im Zusammenhang mit der Gesundheitsversorgung am Lebensende, assistiertem Suizid und/oder Sterbehilfe führen. Dieses Beispiel zeigt, wie die Schaffung eines Forums, in dem die Bürgerinnen und Bürger ihre Meinung äussern können, die Regierung dabei unterstützen kann, neue Lösungsansätze zu erarbeiten.

Eine Website, die der Öffentlichkeit die Mitwirkung an der Erarbeitung eines neuen Gesetzes gestattet, kann erhebliche Auswirkungen auf die bessere Einbindung marginalisierter Gruppen oder auf andere spezifische Themen haben. Dank der Transparenz von Websites können sich die Bürgerinnen und Bürger in den Gesetzgebungsprozess einbringen und ihn leichter nachvollziehen. Sie werden damit auf eine ganz neue Art und Weise in den Prozess eingebunden, was Bürgerinnen und Bürger und Gesetzgeber näher zusammenbringt.

Die Einschränkung im Vergleich zu anderen Formen der Öffentlichkeitsbeteiligung besteht darin, dass eine Website nur die vom Initiator bereitgestellten Informationen liefert und keine Möglichkeit für weiterführende Diskussionen bietet. Diese müssen separat organisiert werden.

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