Gorelishvili gegen Georgien  | 2007

Größerer Schutz für Meinungsfreiheit, nachdem eine Journalistin wegen Berichterstattung über mutmaßliche politische Korruption verklagt wurde

... das Gericht wiederholt, dass die Presse eine wesentliche Funktion in einer demokratischen Gesellschaft erfüllt. Obwohl sie bestimmte Grenzen nicht überschreiten darf, insbesondere wenn es um den guten Ruf und die Rechte Dritter geht, ist es dessen ungeachtet ihre Aufgabe, in einer Weise, die mit ihren Pflichten und Verantwortlichkeiten vereinbar ist, Informationen und Ideen zu allen Angelegenheiten des öffentlichen Interesses zu vermitteln.

Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, Juni 2007

Hintergrund

Ilnar Gorelishvili schrieb regelmäßig eine Kolumne für eine Zeitung, die darauf abzielte, Korruption im öffentlichen Dienst aufzudecken. Ein Artikel, veröffentlicht im Juli 2000, betraf einen Politiker mit engen Verbindungen zur Regierung und seinen Besitz mehrerer Grundstücke. Der Artikel schloss ein Foto seines Sommersitzes ein, der als „Palast" beschrieben wurde. Frau Gorelishvili verglich den Wert der Grundstücke mit dem Gehalt des Politikers, stellte in Frage, ob er allein mit seinem Gehalt im öffentlichen Dienst so viel Vermögen habe erwerben können, und mutmaßte, das Eigentum könne auf politische Korruption zurückzuführen sein.

Der Politiker verklagte Frau Gorelishvili und ihren Redakteur wegen Verleumdung. Die georgischen Gerichte entschieden zugunsten des Politikers. Sie wiesen die beiden Journalisten an, Schadensersatz zu leisten und eine Richtigstellung zu veröffentlichen.

Frau Gorelishvili wandte sich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Urteil des EGMR

Der Straßburger Gerichtshof entschied, dies habe das Recht von Frau Gorelishvili auf Meinungsfreiheit verletzt.

Das georgische Verleumdungsgesetz zu dieser Zeit habe nicht zwischen Tatsachen und Meinungen unterschieden. Die Tatsachen, die in dem Artikel präsentiert worden seien, waren die, dass der Politiker diese Immobilie besitze. Dies habe sich auf seine öffentliche Eigentumserklärung gestützt und sei nicht zu bestreiten.

Die Mutmaßung, das Eigentum stamme aus politischer Korruption, sei nicht als Tatsache formuliert gewesen. Sie sei als eine zulässige Meinung erhoben worden. In Anbetracht der Umstände des Falles sei diese Meinung nicht unbegründet gewesen. Die Forderung der georgischen Gerichte an Frau Gorelishvili, diese Meinung als zutreffend zu beweisen, habe ihr Recht auf Meinungsfreiheit verletzt. Sie sei in diesem Fall ungerechtfertigt gewesen.

Nachbereitung

Nach den Ereignissen wurde 2004 in Georgien ein neues Pressegesetz erlassen. Dieses enthält zahlreiche gesetzliche Schutzanforderungen für die Meinungsfreiheit und richtet sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aus. So unterscheidet das Gesetz insbesondere zwischen Tatsachen und Meinungen. Personen können für die Veröffentlichung von Fakten belangt werden, die falsch und schädigend sind. Das Gesetz verleiht jedoch allen eine absolute Freiheit in Bezug auf Meinungen.

Das Urteil des EGMR in diesem Fall wurde ins Georgische übersetzt und an zahlreiche staatliche Organe, u.a. das Verfassungsgericht, verschickt. Ein anschließendes Urteil des Verfassungsgerichts im Jahr 2009 betonte erneut die Notwendigkeit, die Grundsätze der Europäischen Menschenrechtskonvention und die Rechtsprechung des EGMR auf Fälle anzuwenden, die sich mit der Meinungsfreiheit befassen.

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