Y. gegen Slowenien |2015

Offizielle Entschuldigung für Frau, der vom beschuldigten Täter vor Gericht beleidigende Fragen gestellt worden waren

. . . Kreuzverhöre sollten nicht als Mittel zur Einschüchterung oder Erniedrigung von Zeugen genutzt werden.

Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, Mai 2015

Hintergrund

Y. kämpfte jahrelang, um den von ihr des Missbrauchs beschuldigten Täter vor Gericht zu bringen, doch dieser erhielt dadurch lediglich die Gelegenheit, sie vor Gericht zu erniedrigen. 

Im Alter von 14 Jahren erzählte Y. ihrer Mutter, dass sie wiederholt von einem Freund der Familie sexuell missbraucht worden war. Y.s Mutter ging zur Polizei. Aber es war für sie sehr schwierig, von dieser Antworten über den Stand der Ermittlungen in Bezug auf die Beschwerden ihrer Tochter zu erhalten. 

Es dauerte fast sieben Jahre, bis Y.s Fall vor Gericht kam. Zu diesem Zeitpunkt war sie eine junge Frau, die gezwungen gewesen war, ihr Trauma immer wieder neu zu durchleben. 

Bei einer Gerichtsverhandlung stellte der von Y. beschuldigte Täter ihr direkt über hundert Fragen, von denen einige beleidigend waren. Das Kreuzverhör dauerte vier Stunden. 

Der Mann wurde von allen Beschuldigungen freigesprochen.

Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte

Der Europäische Gerichtshof stellte fest, dass die slowenischen Behörden Y.s persönliche Integrität während der strafrechtlichen Ermittlungen und des Gerichtsverfahrens nicht geschützt hatten. Sie hätten den von ihr beschuldigten Täter daran hindern sollen, von beleidigenden und erniedrigen Bemerkungen Gebrauch zu machen, während er sie ins Kreuzverhör nahm. Die Behörden hätten es außerdem versäumt, Y.s Beschwerden unverzüglich zu untersuchen. Diese Versäumnisse verstießen gegen ihre Rechte. 

. . . persönliche Kreuzverhöre durch Angeklagte sollten einer äußerst sorgfältigen Überprüfung durch die nationalen Gerichte unterliegen, und dies umso mehr, je intimer die Fragen sind.

Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, Mai 2015

Folgemaßnahmen 

Im Dezember 2015 entschuldigte sich nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs der slowenische Justizminister bei Y. für die „ineffiziente Rechtspflege in ihrem Fall“. 

Slowenien hat seitdem Maßnahmen ergriffen, um übermäßig lange Strafverfahren zu verhindern, darunter durch eine Gesetzesänderung und den verstärkten Einsatz von IT-gestützten Case-Management-Systemen und Sensibilisierungsinitiativen.  

Minderjährige Opfer von Verbrechen genießen gemäß der slowenischen Strafprozessordnung nun besonderen Schutz. Von Beginn des Strafverfahrens an sollte ein minderjähriges Opfer einen Anwalt haben, der seine Rechte verteidigt, insbesondere wenn es um den Schutz seiner persönlichen Integrität während der Untersuchung vor Gericht geht. Die unmittelbare Vernehmung eines unter 15 Jahre alten Kindes, das Opfer eines derartigen Verbrechens ist, ist in einer gerichtlichen Hauptverhandlung nicht erlaubt.

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