Back Aserbaidschan und die Menschenrechte

Frankfurter Allgemeine Zeitung , 

In den vergangenen Tagen und Wochen ist in europäischen Medien viel über die Menschenrechtslage in Aserbaidschan berichtet worden ("Hilfe aus Baku. Aserbaidschans Gas könnte Europas Abhängigkeit von Moskau mindern" von Michael Martens, F.A.Z. vom 16. Mai). Im Mittelpunkt steht dabei der Vorsitz im Ministerkomitee des Europarats, den Aserbaidschan am 14. Mai turnusmäßig - nach der alphabetischen Reihenfolge der Mitgliedsländer im Englischen - von Österreich (Austria) für sechs Monate übernommen hat.

Die Frage, die viele Kommentatoren umtreibt, lautet sinngemäß: "Wie kann ein Land, das dafür bekannt ist, Journalisten zu unterdrücken und Oppositionelle einzusperren, einer Organisation vorstehen, die auf ihre Fahnen schreibt, Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu schützen?" Zudem wird gelegentlich suggeriert, der Europarat sei für die offensichtlichen Menschenrechtsverletzungen in Aserbaidschan auf beiden Augen blind. Wer jedoch etwas genauer hinsieht, wird verstehen, dass solche Unterstellungen nicht zutreffen.

Aserbaidschan wurde 2001 durch eine gemeinsame Entscheidung aller Mitgliedstaaten in den Europarat aufgenommen. Damit verband man die Hoffnung, im Konflikt um Nagornyj-Karabach werde mit Armenien, das gleichzeitig aufgenommen wurde, eine friedliche Lösung erzielt werden können. Diese Hoffnung hat sich bisher nicht erfüllt. Der Europarat zählt heute 47 Mitgliedstaaten, darunter alle 28 EU-Länder. Alle Mitgliedstaaten werden in Straßburg durch ihre Botschafter im Ministerkomitee vertreten. Kein Mitgliedstaat hat den Ratsvorsitz Aserbaidschans oder gar die Mitgliedschaft des Landes öffentlich in Frage gestellt. Das gilt auch für die Parlamentarische Versammlung, die Vertretung nationaler Abgeordneter im Europarat, und es gilt ebenso für die EU, die im Ministerkomitee im Botschafterrang vertreten ist und in der Organisation eine aktive Rolle spielt. Tatsache ist aber auch, dass der Europarat, genauso wie die EU, die Vereinigten Staaten und viele Menschenrechtsorganisationen, mit Kritik an den Menschenrechtsverletzungen in Aserbaidschan keineswegs spart. Der Menschenrechtskommissar des Europarats, Nils Muiznieks, hat in einem aktuellen Bericht die mangelnde Meinungsfreiheit und die Schikanierung der Journalisten in dem Land kritisiert. Zu den vielen Fällen gegen Aserbaidschan, die den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg beschäftigen, zählt die Festnahme und Untersuchungshaft des Bürgerrechtlers und Oppositionellen Ilgar Mammadow. Mammadow ist gleichzeitig Direktor der "Baku School of Political Studies", einer Bildungseinrichtung unter der Schirmherrschaft des Europarats. Der Straßburger Gerichtshof entschied gestern im Fall Mammadow einstimmig, dass Aserbaidschan gegen vier Artikel der Menschenrechtskonvention verstoßen hat.

Im vergangenen Jahr besuchte eine Delegation von Botschaftern des Europarats die Hauptstadt Baku, darunter die ständigen Vertreter Deutschlands, Frankreichs und der Schweiz. Die Delegation mahnte an, dass Aserbaidschan bisher noch keine wesentlichen Fortschritte bei den Menschenrechten erzielt habe. Eine Resolution der Parlamentarischen Versammlung beklagte 2013 auch mutmaßliche Fälle von Folter und Misshandlung in aserbaidschanischen Gefängnissen. Mehrere Menschenrechtsorganisationen berichten Ähnliches.

Vor diesem Hintergrund bin ich in dieser Woche nach Baku gereist, um Aserbaidschans Staatspräsidenten Ilham Alijew und mehrere Mitglieder seiner Regierung zu treffen. Ich spreche ihnen gegenüber die festgestellten Menschenrechtsverletzungen offen an und verlange die sofortige Freilassung von Ilgar Mammadow als ersten Schritt. Ich treffe auch Vertreter der Zivilgesellschaft und Opposition. Unsere Vorschläge zur Reform und Unabhängigkeit der Justiz sowie für mehr Meinungsfreiheit im Land sind in einem Aktionsplan für Aserbaidschan enthalten, den alle Mitgliedstaaten des Europarates angenommen haben.

Nach dem Eurovision Song Contest im Jahr 2012 steht Aserbaidschan heute wieder im Mittelpunkt internationaler Beobachtung. Die aserbaidschanische Regierung sollte die Gelegenheit des Vorsitzes im Europarat nutzen, um endlich sichtbare Erfolge zum Schutz der Menschenrechte zu erzielen.

THORBJÖRN JAGLAND, GENERALSEKRETÄR DES EUROPARATS, STRASSBURG