Wer sollte einbezogen werden?
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Es gibt nicht die eine, allumfassende, homogene und unveränderliche «Öffentlichkeit». Die Frage, wer sich an der öffentlichen Diskussion In diesem Dokument und in Artikel 28 des Übereinkommens von Oviedo beschreibt der Überbegriff «öffentliche Diskussion» den diskursiven Austausch im öffentlichen Raum (ausserhalb des berufsbezogenen Kontextes), der es Einzelpersonen und Gruppen ermöglicht, unterschiedliche Interessen in Bereichen, die uns (potenziell) alle betreffen, auszumachen, zu erörtern und miteinander in Einklang zu bringen. beteiligt, ist wichtig, vor allem dann, wenn Personen, die sich eigentlich beteiligen wollen, dazu nicht in der Lage sind. Bei der Erwägung einer öffentlichen Diskussion gilt es zu überlegen, wer teilnehmen sollte, welche Interessen diese Personen vertreten würden und ob es Hindernisse für die Partizipation bestimmter Gruppen gibt.
Die Verwendung des Begriffs «Öffentlichkeit» impliziert oft «Homogenität», während in Wirklichkeit in sämtlichen Gesellschaften unterschiedliche soziale Interessen bestehen und eine Vielzahl von Meinungen existieren. Allerdings sind nicht alle Bürgerinnen und Bürger von allen Themen in gleichem Masse betroffen, aber jeder und jede ist berechtigt, sich in die öffentliche Diskussion einzubringen.
Bestimmte Öffentlichkeiten, so zum Beispiel die Teilnehmenden an offenen Konsultationen und spontanen öffentlichen Diskussionen, können auf ein Selbstauswahlverfahren zurückgreifen. Bei vielen veranlassten öffentlichen Diskussionsveranstaltungen, insbesondere wenn es um die Einholung von Meinungen geht, kann es sich bei den Teilnehmenden hingegen um Personengruppen handeln, die basierend auf demografischen Informationen und anhand anerkannter sozialwissenschaftlicher Methoden sorgfältig ausgewählt wurden.
Die betroffenen Öffentlichkeiten finden jeweils bei einem bestimmten Thema zusammen. Dabei bringen einige ihr Interesse klar zum Ausdruck, während man auf andere zugehen muss und es Anstrengungen erfordert, sie in die Diskussion einzubeziehen.
Stakeholder
60. Beim Zielpublikum kann es sich um Personen handeln, die ein unmittelbares Interesse an dem zu diskutierenden Thema haben. Sie werden oft als «Stakeholder» bezeichnet. Die Ansichten der direkt Betroffenen sind zwar für die öffentliche Diskussion über biomedizinische Entwicklungen relevant, es kann jedoch auch viele indirekt betroffene Personen geben. Die Entwicklungen in der Biomedizin können Veränderungen für alle nach sich ziehen, und daher hat die gesamte Öffentlichkeit ein Interesse an der Diskussion und kann folglich als «Stakeholder» bezeichnet werden.
61. Es ist darüber nachzudenken, wie die Interessen derer vertreten werden können, die vielleicht in geringerem Masse, dafür aber potenziell sehr häufig betroffen sind, sowie derer, die in hohem Masse, dafür aber selten betroffen sind. Die erste Umsetzung einer neuen Entwicklung wirkt sich auf diese Personen gegebenenfalls erst zu einem späteren Zeitpunkt aus, auch weil sie möglicherweise aus geografischen Gründen nicht direkt mit dieser konfrontiert sind.
Von den Entwicklungen in der Biomedizin ist potenziell jeder und jede Einzelne betroffen. Es sollte über die Identifikation oder die Erfassung der verschiedenen Interessen und differenziellen Auswirkungen nachgedacht werden.
Einerseits darf nicht in ungerechtfertigter Weise den Ansichten bestimmter Stakeholder Vorrang gegeben werden und andererseits sind sowohl die Meinungen der direkt wie auch der indirekt Betroffenen zu berücksichtigen.
Eine Überrepräsentation benachteiligter Gruppen kann wünschenswert sein, um sicherzustellen, dass ihre Stimmen im öffentlichen Raum auch gehört werden.
Es darf nicht grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass zum Beispiel zivilgesellschaftliche Gruppen oder Patientenorganisationen im Namen der gesamten Zivilgesellschaft oder aller Patientinnen und Patienten sprechen.
Es gilt auch zu berücksichtigen, dass die Menschen, die in den Medien und den sozialen Netzwerken am sichtbarsten sind, nicht unbedingt die Meinung der Mehrheit vertreten.
Repräsentative Gruppen
Bei Entwicklungen, die potenziell sehr viele Menschen betreffen, ist es für gewöhnlich weder praktisch noch notwendig, die gesamte betroffene Bevölkerungsgruppe in eine öffentliche Diskussion einzubeziehen. Eine Stichprobe der Bevölkerung kann nützliche Hinweise auf die Bandbreite an öffentlichen Meinungen in der Gesellschaft geben.
Die Definition einer Stichprobe und deren Grösse müssen durchdacht und klar festgelegt werden und sind von Natur aus ermessensbasiert. Es ist wichtig, sicherzustellen, dass solches Ermessen auf unvoreingenommenen Annahmen bezüglich der Relevanz bestehender Interessen gründet.
Die relevanten Parameter für die Festlegung einer repräsentativen Stichprobe der Bevölkerung sind zu berücksichtigen.
Nationale Referenden können sehr aufschlussreich sein, sind aber kein Ersatz für die öffentliche Diskussion und können in Ermangelung einer wirksamen öffentlichen Diskussion kontraproduktiv sein.
Die Einbindung einer repräsentativen Stichprobe der Bevölkerung kann dazu beitragen, die politischen Entscheidungsträger auf mögliche Verzerrungen des Begriffs «öffentliches Interesse» aufgrund von intensiver Lobbyarbeit oder Unterschriftenkampagnen von Interessengruppen aufmerksam zu machen.
Einbeziehung unterschiedlicher Stimmen
Bei der Anregung einer öffentlichen Diskussion können besondere Massnahmen erforderlich sein, um auch die Stimmen derjenigen einzubeziehen, die keine offensichtlichen oder direkten Interessen haben oder deren Partizipation erschwert wird. In vielen Gesellschaften haben zum Beispiel ethnische Minderheiten keinen gleichberechtigten Zugang zum öffentlichen Raum. Manchmal erhalten bestimmte Teile der Bevölkerung nicht die Möglichkeit oder finden keine Gelegenheit, sich an der öffentlichen Diskussion zu beteiligen. Einige können gar aufgrund sprachlicher Barrieren, physischer oder psychologischer Einschränkungen oder auch aus kulturellen oder religiösen Gründen nicht an einer Veranstaltung teilnehmen, zu der sie eingeladen wurden. Manchmal können solche fehlenden Möglichkeiten mit Schwierigkeiten bei der Wahrnehmung ihrer Menschenrechte zusammenhängen oder zu einer Verschärfung bestehender Formen sozialer und politischer Ausgrenzung führen.
Kinder und Jugendliche werden von den Auswirkungen einer neuen technologischen Marschrichtung langfristig gesehen besonders tangiert. Sie können neue Blickwinkel und unterschiedliche Standpunkte einbringen. Manchmal sind allerdings andere Ansätze erforderlich, um ihre sichere Teilnahme an der öffentlichen Diskussion zu gewährleisten, insbesondere wenn es sich um ein sensibles Thema handelt. Ältere Menschen stellen einen ebenso bedeutenden Anteil der Gesamtbevölkerung dar und sind oft übermässig stark von den Veränderungen im Gesundheitswesen betroffen.
Werden quantitative oder aggregierte Ansätze verfolgt, bei denen die Teilnehmenden nach dem Zufallsprinzip ausgewählt werden oder einer repräsentativen Stichprobe der Gesamtbevölkerung entsprechen müssen, können die Stimmen von Minderheiten leicht untergehen.
Bestehende Netzwerke und Interessengruppen können dabei helfen, diejenigen einzubeziehen, für die das Thema von besonderem Interesse ist oder die unter Umständen schwer zu erreichen sind, darunter auch Personen in vulnerablen Situationen. Um gesellschaftliche Randgruppen einzubeziehen, die vielleicht tendenziell weniger häufig partizipieren, müssen gegebenenfalls spezifische Massnahmen ergriffen werden. So könnte zum Beispiel mit Personen zusammengearbeitet werden, die solche Gruppen von einer Teilnahme zu überzeugen versuchen, oder es könnten Bürgerbeauftragte hinzugezogen werden, denen diese Gruppen vertrauen.
Politische Fragen, die die Gesamtheit eines Staatswesen betreffen, wirken sich möglicherweise in den verschiedenen geografischen Regionen unterschiedlich auf die Menschen aus. So kann es Unterschiede zwischen städtischen und ländlichen Regionen, zwischen Nord und Süd, zwischen den Industrie- und Dienstleistungszentren, zwischen dem Mutterland und den Überseegebieten usw. geben.
Die Partizipation von Jugendlichen kann in einem Klima des Vertrauens innerhalb der Schule oder von Jugendgruppen ermöglicht werden.
Um ältere Menschen zur Teilnahme an der öffentlichen Diskussion zu ermutigen, müssen gegebenenfalls die Kommunikationsmöglichkeiten an deren Bedürfnisse angepasst werden.
Besonders vulnerable Gruppen lassen sich über Bürgerbeauftragte erreichen, denen diese Gruppen vertrauen. So werden ihre Stimme gehört und ihre Privatsphäre geschützt.

Irland – Öffentliche Diskussion über Abtreibung und die Streichung des Achten Verfassungszusatzes (2016)
Die Regierung rief eine aus 99 Bürgerinnen und Bürgern sowie einem von ihr ernannten Vorsitzenden bestehende Bürgerversammlung ins Leben, um einen parlamentarischen Ausschuss in der Frage der Streichung des achten Verfassungszusatzes des Landes, der Schwangerschaftsabbrüche untersagte, zu beraten.

Deutschland – Öffentliche Diskussion über Genomchirurgie (2019)
An der in Deutschland geführten Diskussion über die Genomchirurgie (Genomchirurgie im gesellschaftlichen Diskurs) haben sich verschiedene Gruppen, einschliesslich Schülerinnen und Schüler, beteiligt. Die Schülerinnen und Schüler haben unter Verwendung eines speziell zusammengestellten Toolkits an einem Planspiel teilgenommen, bei dem sie sich mit dem «Gene-Drive» auseinandersetzten.

Grossbritannien – Öffentliche Diskussion über Neurowissenschaften, Drogen und Drogensucht (2007)
Die in Grossbritannien unter dem Titel «Public Engagement on Brain Science, Addiction and Drugs (Öffentlicher Dialog über Neurowissenschaften, Drogen und Drogensucht)» geführte Diskussion hat gezeigt, wie nützlich ein innovativer Ansatz ist, um schwer erreichbare Gruppen einzubeziehen, die unter Umständen Mühe bekunden, an öffentlichen Diskussionen teilzunehmen.