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Speech by Heinz Fischer, Federal President of Austria

16 Mai 2005

Herr Staatspräsident!
Herr Generalsekretär des Europarates!
Exzellenzen!
Meine Damen und Herren!

Gestern haben wir in Wien in Anwesenheit hochrangiger Vertreter Russlands, Frankreichs, Großbritanniens und der USA den 50. Jahrestag des Abschlusses des Österreichischen Staatsvertrages vom 15. Mai 1955 gefeiert. Heute sind wir hier in Warschau zusammengekommen, um im Lichte der tief greifenden Veränderungen, die es in Europa in den letzten 15 Jahren gegeben hat und die zu einer Überwindung der Teilung Europas geführt haben, gemeinsam über neue Chancen und neue Perspektiven für Europa und für die Tätigkeit des Europarates nachzudenken.

Ich bin Staatspräsident Kwasniewski und der polnischen Regierung aufrichtig dankbar, dass sie uns aus diesem Anlass in das als Symbol für den europäischen Wiederaufbau stehende Warschauer Königsschloss eingeladen haben.

Schon am Beginn der europäischen Einigungsbestrebungen stand der Europarat, bei dessen Gründung im Jahre 1949 das Wesen Europas als Wertegemeinschaft klar zum Ausdruck kam.

Im diesen Sinne erklärte der Europarat die Förderung der Menschenrechte genauso zu seinem Ziel wie den Ausbau der pluralistischen Demokratie und die Förderung des Rechtsstaates. Sehr bald wurde auch den sozialen Grundrechten ein hoher Stellenwert eingeräumt.

Nach den dramatischen Erschütterungen und Verwerfungen der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts setzte der Europarat auf die Konsolidierung der demokratischen Stabilität durch den Ausbau der Sozialgesetzgebung und durch Solidarität. Die Förderung des Bewusstseins der gemeinsamen Identität war und ist kein Widerspruch zur Wahrung und Pflege der Vielfalt der Kulturen und Traditionen Europas.

Europarat und Europäische Union unterscheiden sich zwar in ihren Aufgaben und Strukturen, doch beide sind denselben Europäischen Werten verpflichtet. Bei der Festigung der Rechtsstaatlichkeit, der Förderung der Demokratie und beim Schutz der Menschenrechte kommt dem Europarat aufgrund seiner unschätzbaren, langjährigen Erfahrung weiterhin eine Schlüsselrolle zu. Davon kann auch die Europäische Union profitieren. Hiezu bedarf es aber einer engen Abstimmung der Aktivitäten und der Programme beider Organisationen.

Wenn sich heute in den verschiedenen Regionen der Welt, Staaten zu Wirtschaftsgemeinschaften zusammenschließen, dient ihnen die europäische Integration vielfach als Modell. Hier gilt es aufzuzeigen, dass der Erfolg des europäischen Einigungsprozesses nicht nur auf wirtschaftlichen Überlegungen aufbaut, sondern auch auf gemeinsamen Werten.

Meine Damen und Herren!

Aufgrund seiner historischen Erfahrungen und der Lage an der sensiblen Nahtstelle der großen europäischen Kulturen hat das Engagement Österreichs für Europa eine lange Tradition. Bald nach der Wiedererlangung seiner vollständigen Unabhängigkeit vor genau 50 Jahren, am 15. Mai 1955, hat sich Österreich auf den Europarat konzentriert, dessen Mitglied es 1956 wurde. Es gibt im Übrigen keine andere internationale Organisation, der unser Land mit so vielen Spitzenfunktionären gedient hat: Drei Generalsekretäre und zwei Präsidenten der parlamentarischen Versammlung, um nur die wichtigsten Funktionen zu nennen.

Die Bedeutung des Europarats für Österreich als eine Organisation mit einer wichtigen demokratiepolitischen und wahrhaft pan-europäischen Berufung war auch ausschlaggebend dafür, dass mein Amtsvorgänger, Bundespräsident Klestil, einen Vorschlag von Präsident Mitterand aufnahm und für Oktober 1993 zum ersten Europarats-Gipfel des Staats- und Regierungschefs nach Wien einlud, der mit der Annahme der „Wiener Deklaration“ erfolgreich abgeschlossen wurde.

Das im Rahmen des Europarats errichtete System zum Schutz der Menschenrechte, mit dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof als Kernstück, kann wohl als einzigartig bezeichnet werden. Achthundert Millionen Menschen in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Menschenrechtskonvention wurde die Möglichkeit eingeräumt, die in der Konvention garantierten Menschenrechte bei einer internationalen Instanz einzuklagen.

Ein wirksamer Schutz der Menschenrechte ist aber untrennbar mit der Idee des Rechtsstaates verknüpft. Dies gilt auch für so schwierige Herausforderungen, wie dem Kampf gegen den Terrorismus, der nicht zu einer Suspendierung der Menschenrechte führen darf.

Die vielfältigen aktuellen Bedrohungen und Gefährdungen erfordern mehr denn je Solidarität und Zusammenwirken nicht nur bei der Lösung sozialer und wirtschaftlicher Probleme, sondern auch beim Eintreten für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und der Verwirklichung der Grund- und Freiheitsrechte einschließlich der Minderheitenrechte. Gerade der Europarat mit seiner reichen menschenrechtlichen und demokratiepolitischen Expertise und Erfahrung ist wie keine andere Organisation dazu berufen, anderen Regionalorganisationen außerhalb Europas Orientierungshilfe bei den Bemühungen um den Aufbau demokratischer und rechtsstaatlicher Strukturen zu geben.

Meine Damen und Herren!

In einer Zeit, in der durch die Globalisierung der Wirtschaft, durch eine globale Vernetzung der Waren-, aber auch der Finanzmärkte neue Chancen, aber auch große Ungleichgewichte entstanden sind, muss es auch darum gehen, die sozialen Werte in unserer Gesellschaft zu stärken. Wenn unser bewährtes europäisches Sozialmodell unter Druck gerät und die Arbeitslosigkeit steigt, dann ist es wohl unerlässlich soziale Komponenten verstärkt in unsere Agenda aufzunehmen. Denn es gibt einen unübersehbaren Zusammenhang zwischen sozialer Stabilität und Stabilität des demokratischen Systems.

Es ist notwendig, die Europäische Sozialcharta, die der Europarat bereits vor über einer Generation verabschiedet hat (1961), wieder stärker ins Bewusstsein der Verantwortlichen zu rücken. Der Europarat sollte verstärkt auch als soziales Gewissen Europas dienen und ein Anwalt der sozialen Kohäsion und der Rechte auf soziale Sicherheit sein.

Herr Vorsitzender,

Ziel unseres Treffens heute und morgen ist es der Europarat einen richtungweisenden Impuls zu vermitteln, der ihn stärken und als "die" Menschenrechts-Organisation verankern soll. Ich glaube, mit dem uns vorliegenden Aktionsplan, den Richtlinien für die Beziehungen zur Europäischen Union und der gemeinsamen Erklärung über die verstärkte Zusammenarbeit zwischen dem Europarat und der OSZE werden wir wichtige Schritte in die richtige Richtung setzen.